DER BEGINN IHRER KARRIERE

 

Porträt der Baroness Renata Treves, 1925.

Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm.

Barry Friedman Ltd., New York.

 

 

Tamara de Lempickas Herkunft und ihr frühes Leben sind geheimnisumwoben. Unser Wissen über ihre Herkunft setzt sich aus einigen höchst unzuverlässigen und lückenhaften autobiografischen Fragmenten sowie den Äußerungen ihrer Tochter, Baroness Kizette de Lempicka-Foxhall, gegenüber de Lempickas amerikanischem Biografen Charles Phillips zusammen. De Lempicka war eine Meisterin im Erfinden von Geschichten und im Mythologisieren ihrer eigenen Person; sie war durchaus in der Lage, ihre eigene Tochter und sogar sich selbst zu täuschen. Ein großer Teil ihrer Geschichte, wie ihre Tochter sie erzählt, erinnert an einen Liebesroman oder ein Drehbuch und ist wohl in vieler Hinsicht auch nicht viel authentischer.

Sowohl Geburtstort als auch Geburtsdatum de Lempickas variieren von Erzählung zu Erzählung. Darin braucht man jedoch weiter nichts zu sehen als die Eitelkeit einer schönen Frau. (Zu Tamaras Lebzeiten hatten Opernsängerinnen mit dem Titel Kammersängerin im Österreichisch-Ungarischen Reich offiziell das Recht, ihr Geburtsdatum um bis zu fünf Jahre nach hinten zu korrigieren.)

Schon eher bedeutsam ist, dass sie ihren Geburtsort von Moskau nach Warschau verlegte, wie dies zumindest manche behaupten. Es wurde darüber spekuliert, dass de Lempicka auf väterlicher Seite jüdischer Herkunft gewesen sei, und dass die Verschleierung ihres Geburtsortes helfen sollte, diese Tatsache zu verdecken. Ohne Frage war de Lempickas Fähigkeit, sich an neuen Orten immer wieder neu zu erfinden, wie sie sich im Laufe ihres Lebens öfters manifestierte, ein Überlebensmechanismus, den sie mit vielen Juden ihrer Generation teilte. Die Vorahnung der von Nazi-Deutschland ausgehenden Gefahr einer ansonsten unpolitischen Frau und ihr Wunsch, Europa 1939 zu verlassen, geben ebenfalls Grund zur Vermutung, dass sie Halbjüdin war.

Der offiziellen Version zufolge kam Tamara Gurwik-Gorska als Tochter wohlhabender Eltern der polnischen Oberschicht im Jahre 1898 in Warschau zur Welt. Nach drei Teilungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde ein Großteil Polens, und somit auch Warschau, Teil des Russischen Reiches. Der im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalismus brachte fortlaufende Auflehnungen gegen die russische Herrschaft mit sich und resultierte in immer härteren Versuchen, die Polen zu russifizieren und ihre polnische Identität zu unterdrücken. Tamara scheint sich nie mit den kulturellen und politischen Bestrebungen des polnischen Volkes identifiziert zu haben. Sie fand sich im Gegenteil in der herrschenden Klasse des zaristischen Regimes wieder, das Polen unterdrückte. Die Tatsache, dass sie nach ihrer Flucht aus dem bolschewistischen Russland zusammen mit tausenden russischen Aristokraten das Exil in Paris dem Leben im gerade befreiten und unabhängigen Polen vorzog, scheint für sich zu sprechen.

Die Familie ihrer Mutter, Malvina Decler, war wohlhabend genug, um die “Saison” in St. Petersburg verbringen und in die mondänen Kurbäder Europas reisen zu können. Auf einer dieser Reisen sollte Malvina Decler ihren zukünftigen Ehemann Boris Gorski treffen. Über ihn ist außer der Tatsache, dass er als Anwalt für eine französische Firma arbeitete, sehr wenig bekannt. Aus welchem Grund auch immer, Boris Gorski war nicht jemand, den Tamara in den Erzählungen über ihr frühes Leben besonders hervorzuheben pflegte.

Aus Tamaras späteren eigenen Äußerungen lässt sich schließen, dass sie zusammen mit ihrem älteren Bruder Stanczyk und ihrer jüngeren Schwester Adrienne eine glückliche Kindheit verbrachte. Ihr eigensinniges Temperament, das sich schon in jungen Jahren zeigte, wurde eher gefördert als gezügelt. Als Tamara im Alter von zwölf Jahren für ihr Porträt sitzen soll, wird dies zu einem wichtigen und offenbarenden Ereignis. “Meine Mutter traf die Entscheidung, mein Porträt von einer berühmten Frau malen zu lassen, die mit Pastellfarben arbeitete. Ich musste stundenlang am Stück still sitzen, es war eine Tortur. Später würde ich andere quälen, die für mich Modell sitzen mussten. Als sie fertig war, konnte ich dem Bild nichts abgewinnen, es war nicht ... präzise.

Die Linien waren nicht fournies, nicht sauber gemalt. Das war nicht ich. Und ich beschloss, dass ich das besser konnte. Ich kannte die Technik nicht. Ich hatte nie gemalt, aber das war unwichtig. Meine Schwester war zwei Jahre jünger. Ich nahm mir die Farbe. Ich zwang sie, für mich Modell zu sitzen. Ich malte und malte, bis ich endlich ein Ergebnis vorliegen hatte. Es war imparfait, aber ähnelte meiner Schwester mehr, als das Bild der berühmten Künstlerin mir ähnelte.”