4. Heiliger Markus, ca. 1448-1449.
Kaseinfarbe auf Leinwand, 82 x 63,7 cm. Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main.
Es war ebenfalls von Anfang an deutlich, dass Mantegna ein intellektueller Künstler war, allerdings nicht in einem akademischen Sinn, sondern vielmehr auf Grund seiner Neugier hinsichtlich visueller und literarischer Ideen. Er verkehrte, und dies hatte deutliche Auswirkungen auf seine poetische und gut recherchierte Kunst; mit Autoren und anderen Gelehrten. Mantegna war während seines gesamten Lebens an Worten interessiert, erfreute sich am Studium römischer Inschriften und nahm griechische und hebräische Schriftzeichen in seine Gemälde auf. Seine Kunst kam zur rechten Zeit und traf im Italien des Quattrocento auf ein interessiertes Publikum. Er fand bei ebenfalls an der Wiederbelebung der klassischen Kultur interessierten Zeitgenossen bereitwillige Unterstützung. Mantegna besaß eine große Affinität zu Allegorien und historischen Berichten und war in der Lage, literarischen Programmen zu folgen, Geschichten passend zu illustrieren und dabei die Schwerfälligkeit vieler anderer Renaissancekünstler, die ihre Werke auf detaillierte verbale Programme gründeten, zu vermeiden. Er überbrückte auf diese Weise die Kluft zwischen der beschriebenen und der gemalten Welt. Weitere für Mantegnas Kunst wichtige Aspekte seiner Persönlichkeit waren sein Ehrgeiz und seine Bereitschaft zu harter Arbeit. Seine Begeisterung für seine Kunst und seine physische Energie ermöglichten es ihm, andere Künstler, sei es aus dem klassischen Altertum oder aus anderen Ländern Europas, zu studieren, von ihnen zu lernen und Ideen von ihnen zu adaptieren. Man kann Mantegna nicht wirklich als einen eklektischen Künstler bezeichnen, aber er absorbierte doch unterschiedliche Ansätze und kombinierte aus ihnen einen ganz eigenen, persönlichen Stil. Mantegna wollte vorankommen und besaß den Willen, einen künstlerischen Stil zu entwickeln, der die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen erlangen sollte. Schließlich sollte er auch einen selbst von der Antike begeisterten, bedeutenden Lehrer haben, der seine Schüler mit fortschrittlichen Ideen vertraut machte. Die Renaissance stellte mit ihrer deutlichen Tendenz der Säkularisierung eine Herausforderung für das traditionelle Christentum dar. Für Mantegna gab es jedoch offensichtlich keinen Widerspruch zwischen christlichen und weltlichen Gedanken. Der Großteil seines Oeuvre bestand aus sakralen Werken, in denen er seine scharfe Beobachtung der Natur und sein Interesse an der heidnischen Antike und deren Skulpturen, der Architektur, Kleidung und Figurentypen, die seine religiösen Bilder als Bestandteil seines historischen Ansatzes prägen, artikulierte. Im Italien des 15. Jahrhunderts gab es ganz unterschiedliche Einstellungen gegenüber der Kunst, und einige Kleriker und Laien fragten sich durchaus, warum irgend jemand ein Gemälde von Mars und Venus haben wollte oder warum jemand eitel genug sein sollte, ein Selbstporträt zu wünschen. Mantegna arbeitete für ein ganzes Spektrum von Kunden, die unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse hatten. Einige standen der Wiederbelebung der klassischen Kultur und der Ausweitung des weltlichen Denkens kritisch gegenüber. Mantegna selbst oszillierte jedoch ungehemmt zwischen der weltlichen Sphäre und dem Sakralen. Seine liberale Einstellung setzte sich letzten Endes durch, so dass sich am Ende seines langen Lebens eine friedliche Koexistenz zwischen diesen beiden Bereichen etabliert hatte. Eine fast nahtlose Vereinigung des Sakralen und des Profanen wurde so zu einem der wesentlichen Merkmale der Renaissance in Italien.
Wir werden uns auf den folgenden Seiten mit Mantegnas Leben und Kunst beschäftigen. Während es zu seinen frühen Jahren nur vereinzelte Dokumente gibt, sind seine reifen Jahre besser dokumentiert, so dass wir insgesamt mehr über ihn als über irgendeinen anderen italienischen Renaissancekünstler vor Leonardo da Vinci wissen. Wir können seine Beziehungen zu Freunden und Feinden, Lehrern und Kollegen sowie Mäzenen in einer Weise nachzeichnen, die bei den meisten anderen Malern des 15. Jahrhunderts nicht möglich ist. Daher sind wir in der Lage, den Kontext, den historischen Hintergrund und den Charakter einer Kunst, die die Zeit überdauert hat, zu beleuchten.