2. Abstieg in die Vorhölle, ca. 1490.
Tempera auf Holz, 38,2 x 42,3 cm. Privatsammlung.
Mantegna war eine Leitfigur der in seiner Zeit stattfindenden Regeneration der Kultur, einer Bewegung, die wir Renaissance, also “Wiedergeburt”, nennen. Im 15. Jahrhundert war die antike Zivilisation ein Entdeckern offen stehendes eigenes Universum. Sie bot eine Alternative zu der engen mittelalterlichen Welt des scholastischen Denkens und der christlichen Theologie. Die Orientierung am klassischen Altertum bedeutete die Befreiung des Geistes und die Freude an literarischen Studien. Die Künstler und Autoren der Antike erfreuten sich ungehemmt an den Reizen der materiellen Welt, eine Haltung, die Mantegna und viele seiner Zeitgenossen mit ihnen teilten. Die Menschen der Renaissance fanden in schon weit zurück liegenden Jahrhunderten geistige Vorfahren, die ähnlich über Tugenden und Laster dachten und deren säkulare Sensibilität eine realistische Kunst bevorzugte, die in ihrer formalen Perfektion und ihren harmonischen Proportionen gleichzeitig idealisiert war. Mantegna malte seine Visionen des klassischen Altertums für Enthusiasten, für Männer und Frauen, die im ursprünglichen Wortsinn Dilettanten waren und sich an ihren neuen Entdeckungen erfreuten. Mantegnas Leben und Werk leisteten einen Beitrag zu der feierlichen und durch eine gehörige Portion Eigenlob charakterisierten Atmosphäre, die ein wichtiges Element der Kultur der Renaissance war. Einige moderne Gelehrte vermeiden den Begriff “Renaissance” und beschreiben die Kultur Italiens von 1400 bis 1600 nicht als eine Periode des Selbstbewusstseins und einer großartigen Wiedergeburt von Werten, sondern als eine Zeit widerstreitender Interessen, als eine zögerliche und widersprüchliche Welt, in der die Menschen sich vorsichtig ihren Platz in der Gesellschaft suchten. Texte aus dieser Zeit artikulieren jedoch eine Mentalität, die nicht annähernd so zögerlich und ängstlich ist, wie uns diese Wissenschaftler glauben machen wollen. Die Renaissance hatte ohne Zweifel ihre politischen Krisen und sozialen Verwerfungen. Es ist allerdings notwendig, sich das Gesamtbild vor Augen zu halten: in Italien führende Künstler, Mäzene und Intellektuelle waren der Überzeugung, in einer Zeit der Wiedergeburt zu leben und halfen mit großem Einsatz, eine neue Ordnung der Dinge zu schaffen. In der visuellen Welt sahen die Kunsthistoriker der Renaissance – z.B. Lorenzo Ghiberti (1378 bis 1455), Leon Battista Alberti (1404 bis 1472) und Giorgio Vasari (1511 bis 1574) – das Mittelalter eindeutig als eine dunkle Periode und ihre eigene Zeit als ein Zeitalter der Aufklärung und der Verbesserung des Menschen. Sie blickten voller Bewunderung auf die Errungenschaften der Griechen und Römer zurück und propagierten nicht etwa eine simple Imitation des Altertums, sondern traten dafür ein, die Ideale und Werte zu adaptieren, die die Gesellschaften des Altertums dem auf sie folgenden kulturellen Niedergang überlegen gemacht hatten: die Vernunft, die Akzeptanz der Naturgesetze und ethische Mäßigung. Die Wiedergeburt der Malerei war einer der wichtigen Aspekte der Renaissance. Die durch ihren lebendigen Realismus und die Kenntnis des Altertums charakterisierten Bilder Mantegnas verkörpern die Kunst der frühen Renaissance viel besser als die Bilder jedes anderen Künstlers des 15. JahrhundertBezogen auf einen Maler, der in den relativ provinziellen und weitab der blühenden kulturellen Zentren Rom, Florenz und Venedig gelegenen Städten Padua und Mantua geboren und ausgebildet wurde, ist dies eine außergewöhnliche Feststellung. Irgendwie gelang es Mantegna jedoch, die avantgardistischen intellektuellen Ideen seiner Zeit aufzunehmen und einen Stil zu entwickeln, der ihn von seinen Zeitgenossen absetzte. Seine größte Leistung bestand darin, dass er in seinen Bildern die mittelalterlichen Traditionen nicht einfach fortführte, sondern gegen sie kämpfte. Die im frühen 15. Jahrhundert aktiven älteren gotischen Maler klebten an der sanften, weichen, traumähnlichen Vision, die wir mit der Welt des Spätmittelalters verbinden. Darüber hinaus zogen es viele der so genannten Renaissancemaler des 15. Jahrhunderts vor, diese elegante und idyllische Tradition nicht zu verwerfen. Maler wie Fra Angelico (zwischen 1395 und 1400 bis 1455), Alessandro Botticelli (um 1445 bis 1510), Pietro Perugino (um 1448 bis 1523) und sogar Leonardo da Vinci (1452 bis 1519) nahmen in ihre Kunst nach wie vor einige der eleganten und dekorativen Aspekte des gotischen Stils auf. Mantegna jedoch stellte sich gegen den mittelalterlichen Stil und widmete sich schon in einem frühen Alter der Zerstörung eine älteren künstlerischen Tradition und der Schöpfung einer neuen malerischen Vision. Weiche Oberflächen und schläfrige Bewegungen machten klaren Umrissen und viriler Aktivität Platz.