1. Malerei von Euaion, Eraste mit einem
jungen Musiker, ca. 460 v. Chr.,

rotfigurige Schale, Louvre, Paris.

 

 

Kapitel 1. Homosexualität in der Antike
(vom antiken Griechenland bis
zum Römischen Imperium)

 

 

Bei den frühen Griechen handelte es sich um einen losen Verbund ländlicher Stämme, die schließlich kleine Stadtstaaten bildeten. Schon im frühen 3. vorchristlichen Jahrhundert war die offene Homosexualität in den griechischen Stadtstaaten weit verbreitet. Sie entwickelte sich zu einem integralen Bestandteil des archaischen und klassischen Griechenlands. Männliche Homosexualität, genauer gesagt: Päderastie, war eng mit dem Militärdienst und der Initiation männlicher Jugendlicher in die Bürgerschaft verknüpft. Der Großteil unseres Wissens über die Homosexualität bei den Griechen basiert auf der Kunst, Literatur und Mythologie der griechischen Stadtstaaten. Die Frage, warum die Athener des 4. Jahrhunderts v. Chr. die Homosexualität und ein homoerotisches Ethos so problemlos akzeptierten, ist nicht leicht zu beantworten. Obwohl die Stadtstaaten eigene Gesetze und jeweils spezifische Moralvorstellungen hatten, gibt es auch aus Korinth, Sparta, Theben und anderen Städten sowie von Kreta visuelle und literarische Belege für homosexuelle Interessen und Praktiken. Homoerotische Beziehungen im antiken Griechenland sind erstmals in einem Fragment des Ephorus von Kyme belegt. Hier wird von einem alten Ritual berichtet, das im siebten Jahrhundert v. Chr. im dorischen Kreta stattfand und in dessen Rahmen ältere Männer männliche Jugendliche in Aktivitäten wie die Jagd, Festlichkeiten und wahrscheinlich auch sexuelle Beziehungen initiierten. (Lambert in Haggerty, 80).

Die Bedeutung der Homosexualität in der griechischen Kultur der Antike kommt in den Bräuchen, Riten, in Mythen und Legenden, in Kunst und Literatur und in den gesellschaftlichen Verhältnissen insgesamt zum Ausdruck. Die wichtigsten künstlerischen und literarischen Dokumente zur Homosexualität im antiken Griechenland finden sich in der spätarchaischen und frühklassischen Töpferei, den Komödien des Aristophanes und anderer Autoren wie Euripides, Aischylos und Sophokles, ferner in den Dialogen Platos und in der griechischen Vasenmalerei (Dover, 9). In den Schriften Platos findet sich die intensivste Diskussion homosexueller Liebe. Er konzentrierte sich in seinen Dialogen auf die männliche Homosexualität, die er als ein höheres spirituelles Ziel als heterosexuelle körperliche Liebe und Fortpflanzung ansah. Die drei bekannten Dialoge Platos – Lysis,Phaidr os und Symposion – geben fiktive und manchmal ironische Gespräche über sexuelle und erotische Beziehungen zwischen Männern wieder (Jordan in Haggerty, 695). Viele Passagen der Dialoge beschreiben die Liebe zwischen Männern als paiderasteia (Päderastie - das Wort paiderasteia setzt sich zusammen aus pais (Junge) und eran (lieben)) – die erotische, aktive Liebe eines erwachsenen Mannes zu einem schönen, passiven Jüngling. In Lysis und Symposion wird Sokrates (ein Protagonist in den Dialogen) als der aktive Werber um eine jugendliche männliche Schönheit charakterisiert. Für Sokrates stellt hier die Homoerotik das Streben nach hehren Zielen in Taten und Gedanken dar. Es herrscht keine Einigkeit darüber, wie sich die Päderastie im antiken Griechenland entwickelte. Der überkommenen antiken Mythologie zufolge war es Minos , der sie einführte, um die Übervölkerung der Insel zu verhindern. Die athenische Gesellschaft sah die Päderastie als ein wesentliches Instrument der Sozialisation junger, frei geborener Jungen an, die so zu Männern erzogen und in die Bürgerschaft eingeführt wurden. Als Institution trat sie neben, nicht an die Stelle der heterosexuellen Ehe.

Obwohl der Ausdruck „Päderast“ heute ein Schimpfwort ist und Sexualstraftäter bezeichnet, hatte der Begriff im antiken Griechenland keine negativen Konnotationen und wurde auf Beziehungen zwischen erastes und eromenos angewandt. In einere solchen Beziehung wurde von einem älteren Mann (der erastes oder Liebhaber - in sparta „inspieren“), zumeist bärtig und von hohem sozialen Rang, erwartet, dass er einen Jugendlichen (ein eromenos, oder geliebter - in Sparta «Hörer») auswählen und für sich gewinnen sollte, um ihn Verständnis und Respekt für die maskulinen Werte Mut und Ehre zu vermitteln. Solche Attribute waren nicht nur für die gesellschaftliche Stabilität wichtig. Sie dienten auch als Grundlage für Tapferkeit und Loyalität, wenn es um die Verteidigung der Stadstaaten auf dem Schlachtfeld ging.

In Platos Symposion wird die homosexuelle Liebe in einem Gespräch zwischen einem älteren, bärtigen Liebhaber (erastes) und einem jüngeren, haarlosen Geliebten (eromenos; im Alter von der Pubertät bis etwa 17 Jahren) ausführlich illustriert und gepriesen. Das Symposion gehört zur so genannten Bankettliteratur, einer Mischung informeller Diskussionen über unterschiedliche Themen, darunter der philosophische und moralische Wert der Liebe und der Genuss von Jungen und jungen Männern. Es gibt zahlreiche Vasenmalereien, die illustrieren, was bei diesen Banketten oder Symposien, bei denen die Jungen den Gästen oft als Mundschenk dienten, geschah. Platos Symposion beschreibt die strengen Regeln des Werbens und der Liebe in der Beziehung zwischen erastes und eromenos. Es gab aber auch einige Tabus. Zum Beispiel durfte der Junge auf keinen Fall die Rolle des Aggressors oder Freiers übernehmen oder den erastes penetrieren. Auch das Werben oder die sexuelle Aktivität zwischen zwei Jungen oder Männern desselben Alters oder deselben sozialen Rangs waren verpönt. Das Ideal bestand in der Liebe zwischen den Generationen unter Berücksichtigung der sozialen Stellung.

Der Großteil unserer primären visuellen Informationen über die homosexuellen Bräuche und Gewohnheiten und die sexuellen Praktiken im antiken Griechenland stammt von Vasenmalereien. Griechische Vasen, die zum Wassertransport, zur Aufbewahrung von Wein und Olivenöl und zum Servieren von Speisen und Getränken dienten, wurden von lokalen Handwerkern in großen Mengen hergestellt und in die gesamte Mittelmeerregion exportiert. Viele wurden an Mitglieder der Mittel- oder Oberschicht verkauft und trugen oft handgemalte Götterbilder oder Szenen aus Mythen, Legenden oder dem Alltagsleben. Zahlreiche Vasen aus dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. zeigen ältere Männer im Gespräch mit Jugendlichen, denen sie Geschenke anbieten, deren Genitalien sie berühren und die sie umarmen.