William Blake, David wird aus den Gewässern überbracht,
‘Er ritt auf Cherubim’, um 1805. Stift, Tinte und Aquarell

auf Papier, 41,5 x 34,8 cm. Tate Gallery, London.

 

 

I. Eine frühe Offenbarung

 

 

Kindheit, 1757 bis 1771

 

William Blake starb im August 1827 in Fountain Court, in den Räumen eines kleinen Hauses in einer Gasse abseits des Strand, nahezu unbemerkt, aber beschützt von einem kleinen, nach und nach gewachsenen Kreis von Freunden, bei denen es sich um ihn verehrende junge Künstler handelte, die sich selbst als seine Jünger bezeichneten. Blake weckte bei allen feinsinnigen Geistern, denen es vergönnt war, seine Arbeit und seinen Charakter zu entdecken, großes Interesse. Sein Vermächtnis wurde überall in der Welt verbreitet.

In den Jahren 1828, 1830 und 1832 veröffentlichten J. T. Smith, Allan Cunningham und Frederic Tatham ihre Erinnerungen über den Dichter und Künstler. Seither wuchs das Interesse an Blake beträchtlich; mittlerweile wurden mehrere Bücher über ihn verfasst, und weltweit bemühen sich Museen und Bibliotheken hingebungsvoll darum, seinem Werk ein Zuhause zu geben. Der Kanon von Blakes veröffentlichten Arbeiten ist auch heute noch unvollständig, und es bestehen durchaus Chancen, dass einige seiner bisher unentdeckten Werke der Vergessenheit entrissen werden.

Wir haben in ihm einen Propheten des neunzehnten Jahrhunderts gesehen; der, unabhängig von Chatterton und den Dichtern des Lake Distrikts, ein Vorläufer der Romantik, ein Verfechter des bei Nietzsche – dessen Geist und aphoristisches Betragen demjenigen Blakes auf seltsame Weise ähnelt – begründeten Prinzips der Energie und ein Erneuerer des Geistes der Vergebung war. Blake war ein Dichter, ein Künstler, ein Seher und Exzentriker, dessen späte Schriften Schüler in ihrer eifrigen Suche nach greifbarer und verständlicher Wahrheit quälten. Er bleibt für immer ein Dichter und ein Rätsel; sein Ruf wurde vor allem durch seine übrigen, nicht-künstlerischen Eigenschaften gestärkt.

Über die Geschichte seiner Familie ist wenig bekannt. In dem von Arthur Symons ausfindig gemachten Gemeinderegister gibt es einen Eintrag, der besagt, dass William Blake als drittes Kind von James und Catherine Blake am 28. November 1757 geboren wurde. Sie lebten im Haus 28, Broad Street, in der Nachbarschaft zum Golden Square in London. Die Register belegen des Weiteren, dass der zukünftige Dichter zwei ältere und zwei jüngere Brüder hatte und dass beide, der zweite und der vierte, auf den Namen John getauft wurden. Mr. Symons folgerte, dass der erste John noch vor Vollendung des fünften Lebensjahres starb und sein Name auf den vierten Sohn übertragen wurde, der infolgedessen derjenige gewesen muss, den Blake als „der Böse“ bezeichnete. Der fünfte Sohn ist unter dem Namen Richard eingetragen und war Blakes Lieblingsbruder. Nach diesen fünf Jungen folgte ein kleines Mädchen, Catherine Elizabeth.[1]

Am 11. Dezember, als William Blake vierzehn Tage alt war, brachten ihn seine Eltern zur Kirche St. James’ in Westminster, eine von Christopher Wrens Kirchen; hier wurde Blake gemeinsam mit fünf anderen Kindern getauft. In diesen Tagen wurde auch der italienische Bildhauer Antonio Canova geboren. Blakes künftige Freunde, der englische Maler und Kupferstecher Thomas Stothard sowie der Zeichner und Bildhauer John Flaxman waren gerade zwei Jahre alt und in Bristol lebte als kleiner, fünfjähriger Junge der Dichter Thomas Chatterton.

Die Umstände von Blakes Kindheit sind für uns in einer Anekdote des Tagebuchschreibers Henry Crabb Robinson festgehalten, die erzählt, wie die Ehefrau des Dichters ihm von seiner ersten Vision berichtet. „Das erste Mal, dass du Gott erblicktest,“ soll sie gesagt haben, als William ihr seine sonderbare Fähigkeit beschrieb, „war, als du vier Jahre alt warst. Er legte seinen Kopf an das Fenster und brachte dich zum Schreien.“ Blake war zu diesem Zeitpunkt ein Kind von acht Jahren, als seine Visionen zur Gewohnheit wurden.

Zu dieser Zeit waren Camberwell, Dulwich, Sydenham und Newington Butts noch Dörfer, und ein lebhaftes, in Golden Square wohnendes Kind konnte rasch die offenen Felder Londons erreichen. Auf der Rückkehr von einem dieser Streifzüge rannte Blake nach Hause, um seiner Mutter zu erzählen, dass er den Propheten Ezechiel unter einem Baum gesehen habe. Auch wenn die gute Frau den Jungen für diese Behauptung schlug und zweifellos darüber empört war, dass einer der Propheten für ihr Kind realer scheinen sollte als für sie selbst, empfand sie doch Mitleid mit ihm.

Als Blake ungefähr ein Jahr danach von Peckham Rye mit der Neuigkeit zurückkehrte, er habe einen Baum voller Engel gesehen, und sein Vater ihn für seine Flunkerei auspeitschen wollte, verwendete sich seine Mutter für ihn. Bei einer dritten Gelegenheit, als er an einem leuchtenden Morgen im Frühsommer den Heumachern bei ihrer Arbeit zusah, entdeckte das Kind zwischen ihnen herumtobende engelhafte Wesen.

Uns ist nicht überliefert, wie diese Geschichte zu Hause aufgenommen wurde, doch ist offensichtlich, dass beide Eltern immer größere Notiz von den Eigenheiten des Jungen nahmen und begonnen hatten, sie zu tolerieren. Folglich weigerte sich sein Vater, ihn zur Schule zu schicken, da die Erfahrung gezeigt hatte, dass der junge Blake zur Gereiztheit neigte. Vermutlich gab es zu Hause einige Debatten; seine Eltern, die es aufgegeben hatten, mit der Rute dagegen vorzugehen und Bedenken hatten, ihn zu bestrafen, wollten ihn keinen Fremden anvertrauen, die weniger geduldig und genauso verwirrt waren wie sie selbst. Die Phantasie des Kindes und die impulsive Weise, seine Gefühle auszudrücken, waren die ärgsten Eigenarten, die sie an ihm finden konnten.

Blakes Schulunterricht fand deswegen zu Hause statt, wo er lesen und schreiben lernte, aber nicht mehr. Seine frühreife Dichtkunst zeigt, dass ihm diese Fertigkeiten einfach zugeflogen sein müssen. Überdies scheint es, dass Blake mit seiner lebhaften Phantasie statt der sich unkontrolliert ausbreitenden Umgebung, der religiösen Bildersprache sowie dem Gedankenaustausch mit seinem Vater und dessen Freunden doch eine andere Gesellschaft oder einen anderen Schulmeister benötigte.

Hätte er in seiner Kindheit Latein oder Griechisch studiert, so hätte das ernsthafte Studium der Geschichte und der begleitenden Literatur einen wertvollen Kontrast zu den beschränkten religiösen Interessen in seiner häuslichen Umgebung gebildet: seinem Geist wären eine andere Mythologie und andere Symbole angeboten worden. So, wie die Dinge aber lagen, wurde der exzentrische Einfluss Swedenborgs[2] durch keinen anderen Maßstab zum Vergleich korrigiert. Blakes Vater vermutete in diesem Mangel aber für die Zukunft seines Jungen keinen großen Verlust, da Lesen und Schreiben schließlich ausreichen sollten, um dem älteren Bruder in der Strumpfwarenhandlung der Familie zu helfen, wobei der Vater bestimmt hatte, dass die beiden hierbei ein gutes Paar abzugeben hätten.

William kritzelte und zeichnete auf den Rückseiten der Kundenrechnungen und fertigte Skizzen auf dem Ladentisch an; daher stellte sich bald die Frage, ob er einen guten Strumpfhändler abgäbe und was zu tun sei, falls nicht. Allan Cunningham, der diese Details überliefert, weist auf die andauernden, besorgten Diskussionen und die verschiedenen Standpunkte hin, die von den einzelnen Familienmitgliedern eingenommen wurden, wenn er hinzufügt, dass die Liebe des Jungen zur Kunst „… insgeheim von seiner Mutter unterstützt wurde“, und dass „… Blake im Alter von zehn ein Künstler und im Alter von zwölf Jahren ein Dichter wurde“.

Die Reihenfolge, in der diese beiden Talente sich entwickelten, ist bedeutsam. Die einzig formale Ausbildung, die Blake erhielt, war unvermeidlich für einen Künstler bestimmt, nicht für einen Literaten. Von seinen beiden Neigungen zur Kunst und zur Dichtung wurde die künstlerische kultiviert und die literarische vernachlässigt. Seine Beobachtungsgabe wurde geschärft durch die Betrachtung der Natur, der Menschen auf den Feldern und in den Straßen; seine Phantasie, hierdurch bereits stimuliert, wurde durch das Anschauen von Bildern gestärkt; seine Intelligenz wurde durch religiöse Diskussionen, durch Meinungsaustausch und durch das gänzlich unkritische Lesen von Büchern geweckt.

Nach Aussage einiger Gelehrter zählten zu Blakes Lieblingsstudien Shakespeares Venus und Adonis, Tarquin und Lucrecia sowie dessen Sonette zusammen mit Jonsons Unterholz und seine Sammelbände. Vermutlich begann Blake etwa zu dieser Zeit zu schreiben, aber sein Hang zum Zeichnen war schon früher ausgeprägt, und da es keine offizielle Ausbildung zum Literaten gab, schickte ihn sein Vater, der sich mit Blakes offensichtlichen Wünschen abgefunden hatte, im Alter von zehn Jahren auf eine Zeichenschule, die von Henry Pars, selbst Zeichner und Zeichenlehrer, im Strand geführt wurde.

Die Entscheidung wurde durch die Beobachtungen bestätigt, wie der Junge seine Freizeit verbrachte. Falls er nicht in der ländlichen Gegend herumstreifte oder Zuhause las, besuchte er die für die Öffentlichkeit zugänglichen privaten Bildergalerien oder nahm an Versteigerungen alter Drucke bei Longfords und Christies teil. Longford, sagte Malkin, „… nannte ihn seinen kleinen Kunstkenner und erteilte ihm mit freundlicher Eile oft den Zuschlag für einen billigen Artikel. Er kopierte Raphael und Michelangelo, Martin Heemskerk und Albrecht Dürer, Giulio Romano und den Rest der historischen Künstler und kaufte keine anderen Drucke. Seine Entscheidung wurde von den meisten seiner jugendlichen Gefährten missbilligt, die gewöhnlich über das, was sie seinen ‘mechanischen Geschmack’ nannten, lachten.“

Ach, niemand war da, der die literarischen Vorbilder seines Vaters kritisierte, und die Strenge seines eigenen Geschmacks im Entwurf stand im exakten Gegensatz zu seinem Geschmack in der Literatur. Er änderte nicht eine dieser Einstellungen. „Ich bin glücklich“, schrieb Blake lange danach in seinen Aufzeichnungen für Sir Joshua Reynolds Abhandlungen, „… ich kann nicht behaupten, dass Raphael schon von frühester Kindheit vor mir verborgen war. Ich sah und erkannte sofort den Unterschied zwischen Raphael und Rubens.“ Blake machte die Gleichmäßigkeit zum Götzen und verhinderte somit die Entwicklung und den Einklang seines Geistes. Gilchrist[3] zufolge erlaubten die Versteigerungen Gebote zu drei Pennys (threepenny[4]), und wir brauchen nicht zu raten, wie Blake sein Taschengeld ausgab.

Henry Pars’ Einrichtung war als vorbereitende Schule für die Akademie für Malerei und Bildhauerei in St. Martin’s Lane bekannt, die aus der Incorporated Society of Artists (Eingetragene Gesellschaft von Künstlern) hervorgegangen war und in die er mithilfe des Malers William Hogarth aufgenommen wurde (die Royal Academy begann erst ein Jahr später im Jahre 1768). Die vorbereitende Schule hatte der Maler William Shipley gegründet; und erst nachdem er in den Ruhestand getreten war, hatte Pars sie übernommen.