Giorgio Vasari (1511 bis 1574), Baumeister, Hofmaler der Medici und bekannt vor allem als Verfasser der Lebensbeschreibungen der berühmtesten italienischen Architekten, Maler und Bildhauer, hielt den Beginn der sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts abzeichnenden Erneuerung der Malkunst für ein großes Glück. Er beschrieb den Naturalismus der toskanischen Maler wie Giotto (etwa 1266 bis 1337) zu Anfang des 14. Jahrhunderts als ein Geschenk Gottes, weil damit endlich der steife, förmliche und unnatürliche Stil der bis dahin in Italien vorherrschenden byzantinischen Kunst überwunden war. Heute wissen wir, dass diese Änderung weder dem Zufall noch der göttlichen Vorsehung zu verdanken war und dass sie auch nicht von einem Tag zum anderen eintrat. Vielmehr waren die neuen Aspekte der Malerei – narrative Inhalte, räumliche Darstellungen, körperhafte, realistisch-plastische Figuren – natürliche Begleiterscheinungen der geistigen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich vor allem in Italien abzeichneten und das nun dem übrigen Europa gegenüber einen Vorsprung hatte. Mit dem Aufkommen von Handel und Gewerbe veränderte sich nicht nur die Sicht der Welt, sondern auch das Selbstverständnis des Menschen, der nun begann, sich aus den Fesseln der Kirche und der höfischen mittelalterlichen Ordnung zu befreien. Die Fresken von Giotto, der mit der strengen Stilisierung und der Zweidimensionalität des Mittelalters brach, und der elegante, feine Naturalismus in den Gemälden von Duccio di Buoninsegna (um 1255 bis 1319) waren Ausdruck derselben kulturellen Bewegung, die im literarischen Werk von Dante, Petrarca und Boccaccio sowie den Reiseberichten von Marco Polo ihre Parallelen fand. Den geistigen Unterbau lieferte der Scholastiker Franz von Assisi, der die Gegenwart Gottes nicht in abstrakten Ideen und spekulativer Argumentation, sondern im Gesang der Vögel, in der Natur und im Universum fand.
Was diese primi lumi, ersten Lichter, der Malerei im 14. Jahrhundert begannen, entwickelte sich im 15. Jahrhundert mit großer Konsequenz weiter. Hinzu kam das Interesse an der Kultur des klassischen Altertums. Die italienischen Gelehrten entdeckten die alten Griechen und Römer, insbesondere ihre lange Zeit „verschütteten“ künstlerischen, philosophischen und wissenschaftlichen Errungenschaften. Man spricht deshalb von der „Wiedergeburt“ der Antike, der Renaissance. Der Renaissance-Mensch zeichnete sich durch Selbstbewusstsein und Bildung aus; die Gelehrten nannten sich selbst „Humanisten“ und studierten die Schriften und die Kunst des Altertums, sie erforschten die Natur und glaubten an das Potenzial des Menschen. Darüber hinaus prägten sie ein neues Bild des Menschen und der Welt, ohne sich aber von der Kirche zu lösen. Gemeinsam war allen Humanisten die Hinwendung zur griechischen und zur lateinischen Sprache und Kultur. Man studierte auch die theoretischen Schriften zur Architektur, insbesondere am römischen Baumeister und Ingenieur Vitruv (um 84 bis 27 v.Chr.), an dem sich Leonardo und Dürer orientierten. Die Bilder und Fresken von Masaccio und Piero della Francesca spiegeln die Ethik und Ästhetik der römischen Skulpturen wider. Ihnen war daran gelegen, ihre Gestalten als Teil der wirklichen Welt zu zeigen, nicht mehr in der verklärenden Art des Mittelalters. Die Perspektive der Renaissance gründet auf einem einzigen Fluchtpunkt, zu dem das Auge durch orthogonale Linien geführt wird. So entsteht eine bis dahin unvorstellbare räumliche Kohärenz. Der Antike noch stärker verpflichtet war der norditalienische Maler Andrea Mantegna. Mit seinen Studien antiker Posen, Bauwerke, Gewänder und Inschriften trug er mehr als jeder andere Maler der damaligen Zeit dazu bei, die griechisch-römische Zivilisation wieder aufleben zu lassen. Selbst Botticelli, dessen Kunst sich eher an den träumerisch-verklärten Stil der Spätgotik anlehnt, malt Gestalten wie Venus, Cupido und Nymphen, um dem Geschmack seiner Zeitgenossen entgegenzukommen.
Die Renaissance wird eingeteilt in die Frührenaissance (1420 bis 1500), die Hochrenaissance (1500 bis 1530) und die auch Manierismus genannte Spätrenaissance (1530 bis 1600). Viele der führenden Maler werden der Hochrenaissance zugerechnet. Giorgio Vasari sagt von diesen Meistern, dass sie eine Kunst schaffen wollten, die größer war als die Natur, dass sie Idealisten waren, die die Wirklichkeit nicht so sehr nachahmen als vielmehr vervollkommnen wollten. Diese Maler repräsentieren auch das Ideal der Renaissance: die Universalbildung. Leonardo da Vinci, von der Ausbildung her Maler, war genau so auch Naturwissenschaftler, der seine Kenntnisse der menschlichen Anatomie, der Pflanzen, der Geologie und Psychologie in seine Kunst einfließen ließ. Michelangelo Buonarroti, in erster Linie Bildhauer, wandte sich später auch der Malerei und gegen Ende seines Lebens der Baukunst zu. Außerdem dichtete er Sonette und war dem Neoplatonismus verbunden. Seine übergroßen muskulösen, ausdrucksstarken Helden könnten nicht unterschiedlicher sein zu den zarten, lächelnden Figuren Leonardos. Raphael war der höfische Maler seiner Zeit, dessen Bilder den Reiz und Charme des Lebens an den Höfen der gebildeten Renaissancefürsten wiedergeben. Die venezianischen Meister Tizian und Giorgione brachten mit ihrem Kolorit und ihrer freien Pinselführung das Lebensgefühl der Epikureer zum Ausdruck, das sich in luxuriösen Landschafts- und prächtigen weiblichen Aktbildern niederschlug. Tizians Motto „Natura Potentior Ars“ resümiert diese Bestrebungen der Maler des 15. Jahrhunderts, welche die Kunst als Vollenderin der Natur verstanden. Sie entdeckten auch, dass die Umrisse in der Ferne unschärfer werden, sich aufzulösen scheinen und bezeichnen dies als die Luftsperspektive.
Die Künstler der italienischen Renaissance waren gleichzeitig auch Denker und Gelehrte; und anders als ihre mittelalterlichen Vorgänger waren sie nicht mehr nur Handwerker, sondern, wie etwa Battista Alberti, Dürer, Michelangelo und Leonardo da Vinci auch Theoretiker und Wissenschaftler. Anders als im Mittelalter blieben sie nicht anonym, sondern genossen ein hohes Ansehen. So erhielt Michelangelo den Beinamen „Il Divino“ (der Göttliche); er war schon zu Lebzeiten eine Legende. Bereits 1435 hielt Alberti die Maler dazu an, den Kontakt mit Dichtern und Mathematikern zu pflegen – und dies zahlte sich aus. Mit dem wachsenden Reichtum und Selbstbewusstsein entstand bei vielen Aristokraten und reichen Kaufleuten der Wunsch, selbst Kunst zu sammeln. Neben Gönnern und Stiftern gab es nun auch Kunstsammler, also Leute, die „einen Raphael“ oder „einen Tizian“ kauften.
Während die italienischen Maler der Renaissance räumliche Illusion und idealisierte Figuren schufen (bzw. portraitierten), blieben die Maler nördlich der Alpen mehr der Natur, dem Alltagsleben und den Sinneseindrücken verhaftet. Kein Maler hat je den Niederländer Jan van Eyck übertroffen in der Beobachtung von Oberflächen, niemand hat deutlicher oder poetischer den Glanz des Lichts, den Schimmer auf einer Perle, die Farben eines roten Samtstoffs oder die Reflexionen auf Glas und Metall erfasst als er. Diese Maler waren akribische Beobachter der Natur, die außerdem ein ausgesprochenes Interesse an den Körpern der Heiligen und den anatomischen Details des leidenden Christus zeigten. Mit ein Grund war die Verlagerung des Schwerpunkts bei den seit dem Mittelalter beliebten Passionsspielen: Nicht die Verehrung Jesu, sondern sein Leiden war in den Mittelpunkt gerückt und zum Spiegel des durch Hungersnöte und Pest geprägten Lebensgefühls geworden. Solche Schauspiele bildeten vermutlich die Inspiration für Rogier van der Weyden und Matthias Grünewald, die zum Teil mit qualvoller Deutlichkeit die Wunden, Blutströme und das leidende Antlitz des Gekreuzigten wiedergaben. Die niederländischen Meister waren es auch, die die Ölmalerei erfanden, ein Geheimnis, das erst später, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, auch nach Italien drang.
Eng verbunden mit der Renaissance in Deutschland und den Niederlanden ist der Name Albrecht Dürers aus Nürnberg. Er setzte sich wie die Italiener mit der Perspektive und der Anatomie auseinander, blieb aber doch der mittelalterlichen Tradition verhaftet, wobei er einen eigenständigen Ausdruck mit großer Detailgenauigkeit und emotionaler Darstellung verband. Seine Selbstportraits spiegeln das für die deutsch-niederländischen Malerei völlig neue Selbstverständnis als Künstler wider. Erasmus von Rotterdam (1466 oder 1469 bis 1536), Theologe und einer der größten Humanisten, verfasste das Lob der Torheit, und der Dichter Sebastian Brant (1457 oder 1458 bis 1521) das satirische Gedicht Das Narrenschiff. Diese Werke entstammten dem gleichen nordeuropäischen Milieu, das Hieronymus Bosch zu seinen grotesken Darstellungen der menschlichen Ausschweifungen im Garten der Lüste und Pieter Brueghels Bauernszenen hervorbrachte. Es gab noch Hoffnung für den Menschen im Paradies, doch kaum Trost auf dieser Erde für Geschöpfe, die von ihrer Leidenschaft und Eitelkeit verzehrt wurden. Die Humanisten nördlich der Alpen riefen, genau wie die Italiener, zu Mäßigung und Harmonie und zu einer Rückkehr zu den klassischen Tugenden auf. Brueghel zeigt anschaulich, welches Schicksal denen blüht, die sich diese Warnung nicht zu Herzen nehmen. Im Gegensatz zu vielen seiner Malerkollegen, die nach Italien reisten, um sich dort von Michelangelo und den anderen Renaissancemeistern inspirieren zu lassen, hinterließ Brueghels Besuch in Rom kaum Spuren. Er suchte und fand seine Anregungen in seiner Heimat, bei Bauernhochzeiten und anderen Anlässen, weshalb man ihn auch den „Bauern-Brueghel“ nennt. Mit seinen „spukhaften und drolligen Gestalten“ wird er zum Vorläufer des Barocks im nördlichen Europa.
Die Glaubensspaltung, herbeigeführt durch die Reformatoren Martin Luther und Jean Calvin, veranlasste die katholische Kirche zur Gegenreformation. Dies waren Bestrebungen von Papst und Klerus, die Kirche von innen heraus zu erneuern und die Volksfrömmigkeit neu zu beleben. Das zu diesem Zweck einberufene Konzil von Trient verfügte in Bezug auf die Kunst, diese habe einfach und zugänglich für das Volk zu sein. Ausgelöst durch die Plünderung Roms durch Kaiser Karl V. (1500 bis 1558) im Jahr 1527, hatten sich die italienischen Künstler vom Ideal der Renaissance abgekehrt und begannen, den Spätstil Michelangelos in einer übertriebenen Weise nachzuahmen und auszuschmücken. Der menschliche Körper wurde immer stärker verzerrt, man spielte mit optischen Täuschungen. Dieser das Ende der Renaissance bedeutende Stil wurde als Manierismus bezeichnet. Doch mit der die Kunst als massenwirksames Werbemittel einsetzenden Gegenreformation kam ein neuer Stil auf, der die Macht der Kirche durch Prunk, Spannung und Dynamik repräsentieren und die erstarrte Formelhaftigkeit des Manierismus ablösen sollte. Dieser neue Stil, dessen Erster großer Vertreter in Italien Caravaggio war, wird als Barock bezeichnet. Caravaggio malte nach der Natur, möglichst realistisch, mit dramatisch dunklen Farben und in theatralischer Manier. Er hatte damit beim Volk und bei den Kunstkennern – und schließlich sogar bei der kirchlichen Autorität, die seine realistische Behandlung religiöser Sujets zunächst mit Skepsis aufgenommen hatte – großen Erfolg. Der Caravaggismus verbreitete sich über ganz Italien und dann über ganz Europa. Eine Vielzahl von Malern verschrieb sich seinem Chiaroscuro, das die leuchtenden Farben aus der Palette verbannt. Seine wirklichkeitsgetreuen, volksnahen Figuren fanden Anklang beim Publikum, das der verkünstelten Figuren und Allegorien des 16. Jahrhunderts überdrüssig war.
Neben dem Caravaggismus des Frühbarock (1600 bis 1630) entwickelte sich der Hochbarock, charakterisiert durch Pathos, vehemente Kontraste, dynamische Bewegung, theatralische Inszenierung und Illusion. Dabei wurde im Wesentlichen an die venezianischen Maler des 16. Jahrhunderts angeknüpft. Peter Paul Rubens, Bewunderer Tizians, malte monumentale Bilder – üppige „fleischige“ Figuren und dramatische Landschaften, biblische und mythologische Szenen – mit starkem Helldunkel und virtuosem lockerem Pinselstrich. Seine malerischen Experimente inspirierten eine ganze Reihe flämischer Barockmaler, etwa Jacob Jordaens und Anthonis van Dyck, der vor allem als Porträtmaler in ganz Europa Furore machte. Rubens erweckte ein neues Interesse an der Antike: Seine Bilder sind von Göttern und Göttinnen und anderen mythologischen Wesen bevölkert, obwohl sein Stil alles andere als klassizistisch ist. Sein Werk fand nicht nur bei der europäischen Aristokratie großen Anklang, sondern vor allem auch bei den Befürwortern der Gegenreformation, etwa den Jesuiten. In Rom wirkte zur gleichen Zeit – und dies ebenfalls zur Verherrlichung der Macht der Kirche und des Papsttums – der Bildhauer Bernini. Die italienischen Barockmaler überboten sich gegenseitig, die Decken der Kirchen von Rom und anderen Städten mit himmlischen Szenen voller Märtyrer und Mystiker zu füllen. In Spanien wirkten Murillo, Velázquez und Zurburán mit mehr Ruhe in der Bewegung und etwas weniger offenem Pinselstrich, aber mit dem gleichen mystischen Sinn für das Licht. Ihre Malkunst wird vom königlichen Hof, aber vor allem von der katholischen Kirche, bestimmt.
Wie anders dagegen war die Kunst des 17. Jahrhunderts in den protestantischen Nordprovinzen der Niederlande. Diese hatten sich durch den Unabhängigkeitskrieg vom katholischen Spanien gelöst und praktizierten seither eine tolerante Form des Calvinismus, der keine religiöse Ikonographie zuließ. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung entwickelten sich ein weltoffenes, kunstinteressiertes Bürgertum und eine wohlhabende Oberschicht, so dass die Nachfrage nach mondbeschienenen Landschaften, Winterszenen mit Schlittschuhläufern, Schiffen auf der See, Wirtshausszenen und anderen Motiven rasant anstieg. Gedeckt wurde dieser Bedarf von einer großen Anzahl von Malern, unter denen einige herausragen. Jacob van Ruisdael mit seinen schwermütigen, dramatischen Naturstimmungen kommt der Malerei des Hochbarock am nächsten. Frans Hals malte mit flottem, schnellem Pinsel, mit starker farblicher Betonung der Haut und der Kostüme; auch bei ihm ist die „paneuropäische“ Sinnlichkeit des Hochbarock zu sehen. Im Gegensatz dazu verkörpert Jan Steen den weit verbreiteten Realismus und die „lokale“ Qualität der niederländischen Kunst dieses Goldenen Zeitalters, wobei er seine häuslichen Szenen oft mit einer moralischen oder humoristischen Aussage verbindet. Über ihnen allen aber steht Rembrandt van Rijn. Als Calvinist erzogen, stand er den Mennoniten nahe, weshalb er sich nicht an das calvinistische Verbot gegen biblische Szenen gebunden fühlte. Seine späteren Werke mit ihrer zunehmenden Verinnerlichung bilden das perfekte protestantische Gegenstück zu den dynamisch-schwülstigen katholischen Gemälden von Rubens. Anfänglich orientierte sich Rembrandt an dem strengeren Stil der niederländischen Feinmalerei, entwickelte dann aber eine eher Caravaggio verwandte Helldunkel-Manier, die er mit Komplexität und gestalterischer Tiefe erfüllte. Da dieser Stil, an dem Rembrandt festhielt, kaum noch Anklang bei den Niederländern fand, wurde er insolvent, hinterließ jedoch ein künstlerisches Erbe, das später bei den Romantikern und den Modernisten auf Begeisterung stieß. Rembrandt war vor allem wegen der „Universalität“ seiner Kunst eine herausragende Einzelerscheinung. Außerdem war er ein Kenner anderer Stile und literarischer Quellen. Obwohl er selbst niemals die Zeit für eine Italienreise fand, ließ er sich von dem Spätgotiker Pisanello und den Renaissancemeistern Dürer, Mantegna und Raphael inspirieren. Er entwickelte sich Zeit seines Lebens weiter, war sehr aufgeschlossen und ein Kenner der menschlichen Seele.
Genau wie bei der Renaissance, unterscheiden wir auch im Barock den Früh-, Hoch- und Spätbarock. Der Hochbarock wurde vom „Barockklassizismus“ abgelöst, der seine philosophischen Wurzeln in der antiken Gedankenwelt und seine ästhetische Basis in der Malerei Raphaels und anderer Renaissancemeister hatte. Annibale Carracci war klassizistisch ausgerichtet, und Maler wie Andrea Sacchi rivalisierten mit den Malern des Hochbarock wie Pietro da Cortona. Der wichtigste Vertreter des Barockklassizismus des 17. Jahrhunderts war jedoch der Franzose Nicolas Poussin, dessen zurückhaltender Stil dem damalige Interesse an der Philosophie der Stoiker entgegenkam. Mit seinen idealisierten Figuren und rhythmischen Bewegungen inszenierte er historische, mythologische und biblische Begebenheiten – die alle dem Geist der Antike entwuchsen. Ein weiterer Franzose entwickelte eine andere Art des Klassizismus: Claude Lorrains Landschaften scheinen auf den ersten Blick kaum etwas mit Poussin gemeinsam zu haben, dennoch haben beide ein Gespür für den klassisch-strengen Aufbau, für Mäßigung, Ausgewogenheit und ruhige Lichtstimmungen. Sicher ist, dass sich die Malerei des Barock durch eine große Vielfalt auszeichnete. Noch nie hatte die Kunst eine so reiche Ikonographie gesehen, sowohl im sakralen als auch im profanen Bereich. Durch die Entdeckung neuer Kontinente, den Kontakt mit verschiedenen Kulturen und die neuen Perspektiven, die das Teleskop und das Mikroskop eröffneten, aber auch durch die religiösen, gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen, erhielt die Welt eine noch nie dagewesene Komplexität und Dynamik. Ludwig XIV. (1638 bis 1715), der Apollo und Alexander dem Großen nacheiferende, selbst ernannte Sonnenkönig war vom Klassizismus Poussins und seines Hofmalers Le Brun, der mit einer Reihe von düsteren Bildern seine absolutistische Herrschaft verherrlichte, sehr angetan. Um die Wende zum 18. Jahrhundert entfachte sich ein Streit zwischen den Poussinisten und den Rubenisten. Erstere bevorzugten die klassizistische Zurückhaltung und Linearität, die anderen den Kolorismus, die energische Bewegung und den dynamischen Bildaufbau. Nach dem Tod Ludwigs XIV. gingen die Rubenisten in Führung und entwickelten den Rokoko (vom französischen „rocaille“, d.h. Grotten- und Muschelwerk) genannten Stil: eine dekorative, verspielte, weniger repräsentative Ausprägung des Barock. Antoine Watteau, Jean-Honoré Fragonard und François Boucher malten in einer leichten, heiteren Manier mit fedrigem Pinselstrich, mit Pastellfarben und kleineren Formaten. Sie wandten sich heiteren Genrebildern und erotischen Motiven zu, die weniger imponierten als ganz einfach nur gefielen. So führen die Rokokomaler die Debatte zwischen Linie und Farbe weiter, die schon in der Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts aufgetaucht war: das Argument zwischen Michelangelo und Tizian, zwischen Rubens und Poussin (das auch damit noch nicht zu Ende war).
Nicht alle Maler bekannten sich zum Rokoko. Es gab auch gewisse Kreise, die sich auf soziale Tugenden – Mäßigung, Familiensinn, Patriotismus, Pflichtbewusstsein, Vernunft und Naturgesetze – besannen und den frivolen Hedonismus der Rokokomaler nicht billigten. Denis Diderot (1713 bis 1784), der Verfasser der Enzyklopädie, beschwerte sich: „Werden wir diese verflixten Schäferszenen nie wieder los?“ So lehnte sich der Franzose Chardin mit seinem schlichten Naturalismus an die niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts an, und die englischen und amerikanischen Maler, u.a. John Singleton Copley aus Boston, Joseph Wright von Derby und Thomas Hogarth, malten, und jeder auf seine Weise, in einer einem fundamentalen Realismus entlehnten, dem Zeitalter angemessenen Manier. Eine Reihe von Malern, etwa Elisabeth Vigée-Lebrun und Thomas Gainsborough, übernahmen in ihre Gemälde ein wenig von der dem Rokoko eigenen Unbeschwertheit, milderten jedoch die ausschweifenden Tendenzen und die Oberflächlichkeit des rein Dekorativen.
Der Rokokostil hatte mit einem starken Widersacher zu kämpfen: dem Klassizismus. Damit bezeichnet man einen Stil, der das klassische Altertum nachahmt. Seine Merkmale sind Harmonie, zurückhaltende Farbgebung und Dominanz der Linien. Dieser Stil setzte sich in der Zeit zwischen 1780 bis etwa 1830 durch. Als Jacques-Louis David 1785 seinen Schwur der Horatier ausstellte, waren die französische Öffentlichkeit, einschließlich des Königs, und der Rest der Welt begeistert. Thomas Jefferson (1743 bis 1826), der damals in Paris weilende 3. Präsident der USA, war zutiefst beeindruckt. Die Popularität des Klassizismus ging der Französischen Revolution voraus, doch danach wurde dieser Stil zum offiziellen Stil des neuen französischen Regimes (Frühempire). Der Rokokostil wurde mit dem dekadenten Ancien Régime gleichgesetzt; seine Vertreter mussten ihren Stil ändern oder das Land verlassen. Darauf folgten die ebenfalls klassizistisch beeinflussten Stile des Konsulzeit Napoleons I. (1769 bis 1821) und des Empire (etwa 1805-1815). Die elegante Linearität und die exotischen Interieurs von Ingres traten an die Stelle der Bilder von David, der seinen Stil ebenfalls der Mode anpasste.
Das 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Vernunft und Aufklärung, provozierte eine Gegenreaktion, die ein Interesse am Gefühl und am Irrationalen („Sturm und Drang“) bekundete. Gegen Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkten in verschiedenen Ländern eine Reihe von Malern, die wir als „Romantiker“ bezeichnen. Viele waren Zeitgenossen der klassizistischen Künstler, so dass sich eine gewisse Rivalität entwickelte. Manche der europäischen Maler waren um diese Zeit am Unheimlichen und Dämonischen interessiert, wie sich dies in Heinrich Füsslis Der Nachtmahr und in Francisco Goyas düsteren Gemälden zeigt. Théodore Géricault befasste sich in manchen seiner kleineren Bilder mit Tod, Wahnsinn, Kannibalismus und in seinem monumentalen Floß der Medusa mit politischer Korruption. Subtiler waren die Maler, die in dieser Zeit mit den gefühlsmäßigen Effekten der Landschaftsmalerei experimentierten, etwa John Constable mit seiner Behandlung von Licht, Wolken und sonnenbeschienenen Bäumen in der englischen Landschaft. Caspar David Friedrichs Landschaften sind voll von religiösem Mystizismus, während die amerikanischen Maler der Hudson River School, wie Thomas Cole, die warmen Herbstfarben und die öden, in der Ferne verschwindenden Weiten der Neuen Welt auf ihre Leinwand bannten. Joseph M.W. Turners Landschaften, Seestücke und historischen Szenen erschienen seinen Zeitgenossen wie „gefärbter Dampf“; Turner setzt damit einen Wegweiser in Richtung abstrakte Kunst. Der bedeutendste der französische Romantiker war Delacroix, dessen Vorbild Rubens war. Seine Motive waren das Leiden Christi und – dem Geschmack der Zeit entsprechend – Tigerjagden, Berberkrieger, nordafrikanische Jäger und orientalische Frauen. Wie die Barockmeister vor ihm verwendete er räumliche Diagonalen und abgeschnittene Elemente. Farben und ihre Korrespondenzen waren für ihn wichtiger als Konturen. Delacroix zog sich die künstlerische und persönliche Feindschaft von Ingres zu ...hier kam einmal mehr der Streit zwischen Linie gegen Farbe zum Ausbruch.
Der Realismus, der sich gegen die romantische Auffassung wandte und in Gustave Flauberts (1821 bis 1880) Madame Bovary zum Ausdruck kommt, findet sich auch in der Malerei. Gustave Courbets schlichte Darstellung der Natur und des Dorflebens zeigt uns eine Welt, die nicht geschönt ist. Sein Ausruf „Zeigt mir einen Engel, und ich werde einen malen“ liegt dem Gefühl zu Grunde, das er in seinem monumentalen Begräbnis in Ornans zur Sprache bringt, einem sorgfältig aufgebauten Werk, das die „raue“ Realität ohne jegliche Idealisierung abbildet. Traditioneller, aber auch stärker auf genaue Naturbeobachtung gestützt, waren die Gemälde von Jean-François Millet und, angeführt von Théodore Rousseau, der Maler der Barbizon-Schule. Weitere Realisten waren Honoré Daumier, der sich mit dem modernen städtischen Leben befasste, Anwälte und Beamte karikierte und die menschlichen Qualitäten der Arbeiter und das Leid der Armen darstellte. In England malten zu der Zeit die Prä-Raffaeliten, die die akademische Malerei ablehnten und sich stattdessen um die Wiederbelebung der Wahrhaftigkeit der italienischen Maler vor Raphael und der Hochrenaissance bemühten. Dante Gabriel Rossetti und Edward Burne-Jones suchten Trost in den exotischen Geschichten des Mittelalters, in der frühen englischen Geschichte und in moralischen Geschichten und Parabeln. Sie malten mit Öl, aber in der keine Korrektur zulassenden Art der Tempera- oder Freskenmalerei, sie arbeiteten auf dem noch feuchten weißen Grund, um den Farben einen ungewöhnlichen Glanz zu verleihen. Tatsächlich waren sie nicht die letzten Maler, welche die Vorteile der Ölfarbe oder die akademischen Konventionen in der Kunst, die im 16. Jahrhundert aufgekommen waren, grundsätzlich ablehnten.
Mit der zunehmenden Verstädterung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstand eine neue und überraschende Strömung in der Malerei – der Impressionismus. Claude Monet, Auguste Renoir, Camille Pissarro und andere in ihrem Kreis malten mit schnellem, grobem Pinsel und mit einer keine Details zulassenden Leichtigkeit. Sie malten Landschaften und Stadtszenen, wobei sie die Welt nicht realistisch wiederzugeben trachteten. Ihnen ging es darum, den Moment zu erhaschen, den flüchtigen Eindruck darzustellen, die veränderte Farbigkeit durch den Einfluss von Licht und Schatten, Sonne, Regen und Nebel. Von ihren Zeitgenossen abgelehnt, weil sie gegen die Regeln der Salonmaler verstießen, übten sie dennoch (oder gerade deswegen) eine enorme Wirkung auf die weitere Entwicklung der Kunst aus. Im Verlauf der Zeit trat die „Modernität“ ihrer Auffassung klar zu Tage. Monets Bilder wurden zunehmend abstrakter; viele seiner Landschaften vollendete er in seinem Atelier, nicht nach der Natur. Renoir fand zusehends zu einer Formverfestigung mit stark hervortretender Kontur, wie er sie in der italienischen Kunst kennen gelernt hatte. Seine Bilder sind sorgfältig um figürliche Modelle herum geplant, zum Teil mit zart-süßlicher Farbgebung. Die Maler Jean-Léon Gérôme und William Bouguereau in Frankreich und Ilya Repin in Russland mit ihren konventionelleren Bildern waren zwar erfolgreich, doch sind es die Impressionisten, die als Vorläufer des Modernismus und als wahre Inspiration für die neue Kunstauffassung gelten.
Die Post- oder Spätimpressionisten führten die Sehweise und die Maltechnik ihrer Vorgänger weiter, begannen jedoch, die Tiefenperspektive aufzulösen. Paul Cézanne wollte den flüchtigen, poetischen impressions etwas Dauerhaftes verleihen, weshalb er seinen Bildern einen soliden, vom Klassizismus inspirierten Aufbau gab; sein Ziel war „eine Harmonie parallel zur Natur“. Er durchbrach konventionelle Schranken, indem er die Kanten verwischte und die Oberfläche zum Sujet machte, das er mit Beleuchtung, Textur und Farbe versah. Vincent van Gogh fand durch den Impressionismus zu einer emotionalen, mystischen Malweise mit intensiven Farben. Paul Gauguin suchte seine Motive in den „primitiven“ Gegenden Frankreichs und im Südpazifik. Er malte mit flachem Farbauftrag, leuchtenden Farben, ohne Schatten. Georges Seurat hielt sich an die frühen Impressionisten: Mittels einer neuen Technik, bei der unverbundene Farbpunkte nebeneinander gesetzt wurden, wollte er den flüchtigen, zufälligen Eindruck auf die Leinwand bannen. Wie Cézanne verlieh er seinen Figuren eine fast klassizistische Ruhe und moralische gravitas.
Das schnelle Aufkommen von neuen Stilen im später 19. Jahrhundert setzte sich im 20. Jahrhundert fort. Die Freiheit und der Individualismus der Moderne führten zu einer Vielfalt von avantgardistischen Stilen in Malkunst und Architektur. In den verschiedensten Gebieten wurden Form und Existenz in Frage gestellt: Man denke an die atonale Musik, die Relativitätstheorie, die Psychoanalyse ...all dies deutet auf eine Welt der Subjektivität und des Pluralismus. Die Maler des analytischen Kubismus, angeführt von Pablo Picasso und Georges Braque, zerlegten die Wirklichkeit in geometrische Grundformen, wobei Farbe, Richtung des Lichts und Textur eine untergeordnete Rolle spielten und häufig der einheitliche Blickpunkt aufgegeben wurde. Auf alles Narrative wurde zu Gunsten von Gegenständlichem verzichtet. Stilgeschichtlich gesehen kann man sagen, dass die Kubisten das Anliegen der Renaissancekunst, das von den akademischen Malern des 19. Jahrhundert übernommen wurde – die Schaffung eines räumlichen Rahmens, in dem mit Hilfe von Licht, Raum und Farbe eine bedeutsame Begebenheit dargestellt wird – zunichte machten. Allerdings malten die Kubisten niemals rein abstrakt, sie boten immer Assoziationen zu einem figurativen Inhalt. Ihr Erfolg basiert auf der Spannung zwischen dem, was man sieht, und dem, was man zu sehen erwartet. Der junge Picasso malte in durchaus akademischer, poetischer Manier (Blaue und Rosa-Perioden) und experimentierte nicht nur mit Kubismus, sondern auch mit Primitivismus, Klassizismus und Surrealismus. Kein Maler seit Giotto hat mehr getan, um die Malerei zu verändern. Die Werke von Fernand Léger und Nu descendant un escalier von Marcel Duchamp sind als Nebenprodukte von Picasso und Braque zu sehen, als eine Umsetzung einer Idee in eine dynamische architektonische Umgebung.
Viele von Picassos Werken sind witzig oder ironisch. Doch auch er setzt sich (mit Guernica) wie viele Künstler des 20. Jahrhunderts mit den Schrecken des Krieges auseinander. Bei anderen finden wir eine zynische Kritik am Nationalismus und an sozialen Missständen (Dadaisten, Expressionisten, Neue Sachlichkeit). Die Surrealisten, etwa Salvador Dali und Giorgio de Chirico mit ihren mysteriösen Traumbildern, suchen die Wirklichkeit im Unbewussten und verschmelzen Rausch, Traum und Realität zu einer „Überwirklichkeit“. Die italienischen Futuristen, die den Kubisten nahe standen, wandten sich einer dynamischen, ja brutalen Verherrlichung der technisierten Welt zu, die deutliche Anklänge an den italienischen Faschismus erkennen lässt. In starkem Kontrast zu ihnen sind einzelne, die innere Subjektivität erforschende Maler zu sehen, die eher im geistigen Umfeld der Psychologen Freud und Jung anzusiedeln sind. Edvard Munchs psychologische Einsichten und seine Ausdruckskraft werden in ihrer Intensität vielleicht nur von den deutschen Expressionisten Ludwig Kirchner und Emil Nolde erreicht. Georges Rouault und Marc Chagall malen mit einer Religiosität und einer tiefen Emotionalität sowie einer Farbenwirkung, die an Glasmalerei erinnert.
Die Vertreter der Moderne lehnten die Tradition ab, sei es in der Musik, Architektur oder Literatur. Dasselbe galt auch für die Malerei. Über die abstrakte Kunst ist viel gesagt worden, auch wenn ihre Existenz von manchen in Zweifel gezogen wird. Piet Mondrian sah in seinen abstrakten Bildern verschiedene theologische, geschlechtsspezifische und existenzielle Kategorien. So gibt er manchen seiner Gemälde auch suggestive Namen, etwa Broadway Boogie Woogie. Kasimir S. Malewitsch stellte manche seiner abstrakten geometrischen Bilder in einen ontologischen oder religiösen Kontext, und Wassily Kandinskys abstrakte Werke sind voller Mystizismus und geheimer Botschaften. Auch Jackson Pollock mit seiner Dripping-Technik suggeriert eine menschliche Präsenz, die er durch Titel wie Autumn Rhythm und Lucifer noch unterstrich. Willem de Kooning bringt die Farbe mit heftigem Pinselstrich auf die Leinwand und malt oft kontroverse Motive. Mark Rothkos rechteckig geformte Farbfelder mit ihrer speziellen Lasur entspringen seiner philosophischen Überzeugung: Er wollte den Betrachter in der Tradition des „Erhabenen“ rühren. Form und Farbe mussten die Breschen füllen, die die Madonna, die Heiligen und die antiken Götter hinterlassen hatten.
Die Technik der Ölmalerei wurde im 20. Jahrhundert durch neue oder wieder entdeckte Substanzen ersetzt: Acrylic- und Aluminiumfarben, Enkaustik, Enamel und andere Bindemittel. Daneben wurden gerne alltägliche Objekte wie Zündhölzer und Bindfäden beigemischt oder aufgeklebt. Eine Reaktion auf die psychologische Intensität des abstrakten Expressionismus war unvermeidlich; sie nahm zwei Formen an: Zum einen in einer neuen Objektivität und einem Minimalismus, deren Vertreter Bildhauer wie Donald Judd und David Smith, aber auch Maler wie Ellsworth Kelly und Frank Stella sind, die die Malerei von ihren menschlichen Emotionen, dem Mystizismus und der Subjektivität befreiten. Zum anderen in der Pop-Art, die die Gebrauchsgüter der Konsumgesellschaft, oft in humoristischer Weise, für die Kunst vereinnahmte.
Andy Warhol mit seinen Suppendosen, Richard Hamilton mit seinen Collagen und Roy Lichtenstein mit seinen „Comics“ verfolgten durchaus ernsthafte Absichten. Zahlreiche Bilder und Fotomontagen nutzen Elemente der Werbung. Die Pop-Art fand besonders in den USA eine starke Resonanz.
Im Lauf der Geschichte hat die Malerei sich gegen eine Reihe von Widersachern durchgesetzt. In der Renaissance tobte die Paragone-Debatte, bei der Michelangelo und seine Anhänger die Skulptur zu der „schöneren“, weil wirklichkeitsgetreueren, Darstellungsform erklärten, Leonardo den ersten Rang jedoch der Malerei zuerkannte. Niemand wird bestreiten, dass der Malerei von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert der überragende Platz in der Kunst zukommt. Hand aufs Herz: Wie viele Bildhauer aus der Renaissance können Sie nennen – und wie viele Maler? Dasselbe gilt auch für das 19. Jahrhundert: Außer dem Franzosen Rodin ist uns doch eigentlich kein einziger Name eines Bildhauers aus dieser Zeit geläufig. Die Malerei hat sich durchgesetzt gegen die billigen Drucke, die seit Beginn des 15. Jahrhunderts den Markt überschwemmen, gegen die Versuche einiger Barockkünstler, sie mit anderen visuellen Künsten zu verschmelzen, gegen das Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert und die Konkurrenz des Kinos im 20. Jahrhundert. Jetzt, im 21. Jahrhundert droht eine neue Herausforderung durch die digitalen Medien. Doch die Malerei ist zu mächtig und zu fest in unserem Bewusstsein verankert, als dass sie sich verdrängen ließe. Bilder sind auch „praktisch“: Man kann sie aufrollen und verschicken, stapeln und mit ihnen eine leere Wand oder Decke schmücken. Ein Gemälde kann man nicht per Schalter oder Mausklick zum Verschwinden bringen. Bilder sind flach, wie die Seiten eines Buches oder der Bildschirm eines Computers; deshalb lassen sie sich ohne weiteres in zweidimensionalem Format reproduzieren, ohne komplizierte Beleuchtung, wie dies eine Skulptur verlangt. Außerdem ist die Malerei weniger zeit- und kostenintensiv. Die Renaissance sprach den Malern göttliche Kräfte zu, und tatsächlich haben sie Tausende von neuen „Welten“ für uns geschaffen.
In diesem Band werden nur einige der großartigen Gemälde, die in unseren Museen bewundert werden können, vorgestellt. Es besteht kein Zweifel, dass die Malerei auch in unserer schnelllebigen Zeit eine starke Anziehung ausübt. Werden auch neue Meisterwerke entstehen? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Die hier zusammengestellten Werke legen nahe, dass künstlerische Vision und technisches Können wichtige Komponenten für ein erfolgreiches Bild sind. Ebenfalls klar wird, dass viele herausragende Maler auf den „Schultern von Giganten“ standen und sich mit der Vergangenheit auseinander setzten, sei es in Bewunderung oder in Auflehnung. Vielleicht warten wir auf den nächsten großen Maler, der wie Raphael, Rembrandt und Picasso seine Wurzeln in der Tradition hat, jedoch mit Verstand, Könnerschaft und Wahrhaftigkeit etwas Neues, Außerordentliches hervorbringt. Sollten jedoch die Maler der Zukunft nur banale Eintagsfliegen oder Werke schaffen, die der Form und der Aussage entbehren oder gar die gesamte Geschichte der Kunst entweder verächtlich abtun oder ignorieren, dann bliebe wenig Hoffnung für die Malkunst. Doch bestimmt wird es weiterhin Künstler geben, deren technische Fertigkeiten und Begabung sowie der Wille, etwas Originelles zu schaffen, die Kunst der Malerei am Leben halten werden. Die Seiten dieses Bandes enthalten, ohne dass dies die eigentliche Absicht wäre, eine Blaupause für die Zukunft der Malkunst.
— Joseph Manca