Die Renaissance

Das Zeitalter der Renaissance umfasst in der Kunstgeschichte der westlichen Kulturen grob gerechnet zwei Jahrhunderte, das 15. und das 16. Jahrhundert. Die von den französischen Historikern Renaissance genannte (wörtlich „wiedergeboren werden“) und sehr bedeutende Bewegung breitete sich über ganz Europa aus und im Zuge der Eroberung anderer Kontinente vielleicht sogar über die ganze Welt. Ursprünglich entstand die Bewegung in Italien, als die antike Welt der römischen und griechischen Kulturen wiederentdeckt wurde, teils dort und teils in anderen Regionen mit arabischen Verbindungen, die sich jedoch am Mittelmeerraum orientierten. Für die bildenden Künste war es eine Periode größerer stilistischer Veränderungen, da die Kirche ihnen jetzt die Freiheit gab, den, wenn auch idealisierten, Realismus und Naturalismus in der Kunst der alten Römer und Griechen als Quelle der Inspiration zu nutzen.[15] Nach einer längeren Periode mutwilliger Zerstörung wurden die alten Kunstwerke der Griechen und Römer restauriert, gesäubert und der Bewunderung zugänglich gemacht. Kunstaufträge umfassten sakrale Themen aus der christlichen sowie der vorchristlichen Ära und oft war es den Künstlern gestattet, Themen aus der christlichen Ära mit solchen aus der vorchristlichen zu neuen Mischformen zu verbinden. Themen, die ursprünglich der marianischen Kunst entstammten, wurden wieder aufgegriffen, weiterentwickelt und durch die Verwendung realistischer Stilmittel neu definiert. Die Bilder der Madonna, die während der Renaissance geschaffen wurden, betonten oft ihre physische Schönheit und Menschlichkeit wie auch die Spiritualität ihrer Person.

Die Frauen im Zeitalter der Renaissance waren größeren Restriktionen ausgesetzt und ihre politischen Rechte wurden immer mehr beschnitten, sie mussten sich also auf die Rolle der Mutter und der Hausfrau beschränken. Mit Hilfe der Inquisition, die Frauen zu Tausenden und vielleicht sogar Millionen hinrichten ließ, übte die Kirche strenge Kontrolle über die Frauen aus. Diejenigen, die überlebten, fristeten ihr Dasein in Angst vor diesem rücksichtslosen und rachsüchtigen Arm der Kirche. In den Künsten spielten Frauen nur als Hilfskräfte der männlichen Personen ihrer Familie eine Rolle, oft waren sie die Assistenten ihrer Ehemänner und wirkten als solche schöpferisch in den Kunstwerkstätten mit. Einige wenige wurden jedoch selbständige Künstlerinnen und erlangten zu Lebzeiten größere Anerkennung. Das Volk ließ sich in seiner Verehrung Marias nicht beirren und trotz der Missbilligung von Seiten der Kirche, die bemüht war, Maria innerhalb der Kirche eine geringere Rolle zuzuweisen, brachte das Volk sie weiter mit den vielen wiederentdeckten Gottheiten der griechisch-römischen Vergangenheit in Verbindung. Die Kunst spiegelte die Sehnsucht nach Bildern der Madonna wider und die Kirchen machten sich zu Komplizen, indem sie viele dieser Bilder in Auftrag gaben. Jede Legende aus dem Leben Marias wurde von den Künstlern ausgeschöpft und neue Varianten der alten Motive sprudelten hervor. Jeder Künstler war an kirchlichen Aufträgen und den Möglichkeiten, die sich ihm durch sie erschlossen, interessiert. Die Priester, die Herrscher, der Adel und die neuen Reichen wie die Kaufleute, alle bemühten sich ihrerseits um die Beachtung der Künstler, indem sie ihnen Aufträge für Portraits, für Bilder der von ihnen bevorzugten Gestalten früherer Mythen und vor allem der Madonna mit dem Jesuskind erteilten. Das mittelalterliche Verständnis Marias als Neuer Eva, der reinen und vollkommenen göttlichen Kreatur, die dem Volk Rettung und ewige Seligkeit im Himmelreich verhieß, erlangte wieder neue Bedeutung und der Marienkult betonte mit Nachdruck ihren Status als Himmelskönigin. Häufige Erscheinungen trugen zur Entstehung weiterer volkstümlicher Legenden der Madonna bei, die als die Wegbereiterin zur himmlischen Seligkeit und große Fürsprecherin der Menschheit verehrt wurde.

Eine Buchillustration von Berthold Furthmeyr mit dem Titel Maria Kirchenmutter und Eva unter dem Baum des Sündenfalls aus dem Jahre 1489 stellt den Volksglauben von Maria als Neuer Eva dar. Es zeigt Maria und Eva auf jeder Seite des Apfelbaums stehend, Archetypus für die Quelle des Überflusses in der Natur. Eine lange Schlange windet sich um den Stamm des Baumes. Die Schlange ist im jüdisch-christlichen Glauben Symbol für das Böse und den Teufel, war aber andererseits auch ein Symbol für die Güte der Muttergöttin. Der Baum und die Schlange sind in vielen alten Religionen Symbole einer Göttin und verkörpern ihre Macht, Überfluss und Leben hervorzubringen. Da Sexualität und Sinnlichkeit in den alten, die Muttergöttin verehrenden Religionen positiv besetzt waren, war auch Nacktheit akzeptiert, im Fall Evas bedeutet Nacktheit jedoch auch den Verlust der göttlichen Gnade des patriarchalischen, männlichen Gottes.

Berthold Furtmeyr, Maria Kirchenmutter und Eva unter dem Baum des Sündenfalls, 1489. Buchillustration, Farbe und Blattgold auf Pergament, 38,3 x 28,7 cm. Bayerische Staatsbibliothek, München.

Piero di Cosimo, Die unbefleckte Empfängnis, um 1505. Öl auf Holz, 206 x 172 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Giorgio Vasari, Die unbefleckte Empfängnis, 1543. Öl auf Holz, 58 x 40 cm. Villa Guinigi, Lucca Musei Nazionali, Lucca.

Die unbefleckte Empfängnis

Das Leben der Madonna bot Künstlern viele Gelegenheiten, Marienthemen zu malen oder plastisch darzustellen. Eine der Kontroversen innerhalb der mächtigen, männlichen Priesterschaft betraf die Frage der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria: Die Kirchenväter verkündeten die unbefleckte Geburt Marias frei vom Makel der Erbsünde. Diese Theorie wurde um das 8. Jahrhundert zuerst in der Ostkirche gelehrt, als die Bilderstürmer erklärten, es sei ausgeschlossen, dass eine Person wie Jesus von einer gewöhnlichen Frau geboren worden sei, einer Frau, die durch den Sündenfall befleckt, also Trägerin der Erbsünde sei. Diese Theorie verbreitete sich in den beiden folgenden Jahrhunderten über ganz Europa.[16] Das breite Publikum nahm wie üblich an diesen philosophischen Diskussionen über das Dogma nicht teil, sondern fuhr fort, Maria als seine Beschützerin und als Himmelskönigin zu verehren. Die Künstler drückten aus, was das Volk empfand und malten das Thema der unbefleckten Empfängnis mit Hingabe und Begeisterung.

Ein großes Ölbild, von Piero die Cosimo für die Kirche von Santissima Annunziata zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausgeführt, trägt den Titel Die Unbefleckte Empfängnis und stellt die Madonna in der Mitte der Bildkomposition auf einem Podest in ihrer Glorie stehend dar. Durch die geöffneten Wolken fällt das Licht auf sie herab, das Symbol des Heiligen Geistes, eine Taube, schwebt über ihrem Haupt. Seit dem Beginn des Christentums war man, in Übereinstimmung mit dem Volksglauben, von einer sehr engen Verbindung zwischen dem Heiligen Geist und Maria überzeugt. Weiter unten ist auf einem Podest ein Relief der Verkündigung deutlich erkennbar. Marias Blick richtet sich auf die Heilige Taube, während die Heiligen – drei Männer und drei Frauen – in betender Gebärde verharren.

Es wird deutlich, dass hier die Schönheit und Jugend Marias und der weiblichen Heiligen als erstrebenswertes Ideal für die Frauen jener Zeit erscheinen, während die männlichen Heiligen in keiner Weise idealisiert werden und verschiedene und keineswegs schmeichelhafte Stadien des Alters erkennen lassen. Die unterschiedliche Behandlung von weiblichen und männlichen Bildobjekten lässt sich in der Renaissance häufig beobachten. Die Unbefleckte Empfängnis von Giorgio Vasari aus dem Jahr 1543 verwendet eine ungewöhnliche und innovative Ikonografie. Die Gestalt der Jungfrau befindet sich in der oberen Mitte des Gemäldes, von Engeln und Wolken umgeben und von Licht umflossen. Ein zunehmender Mond – Anspielung auf ihre Verbindung mit zahlreichen Mondgöttinnen der heidnischen Kulturen – befindet sich unter ihren Füssen. Sie schaut auf die Erde hinunter, wo ein gefallener Engel mit schlangenförmigem Schwanz sich dem Fegefeuer nähert. Dort bilden mehrere, meist männliche Personen eine dramatisch bewegte Gruppe. Die beiden sich zurücklehnenden Nackten stellten möglicherweise Adam und Eva nach dem Sündenfall dar. Das Gemälde ist als Allegorie auf die Göttlichkeit von Maria zu verstehen.

Leonardo da Vinci, Verkündigung, um 1475-1480. Tempera auf Holz, 98 x 217 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Nicolas Dipre, Die Darbringung der Jungfrau im Tempel, um 1498. Öl auf Holz, 33 x 51 cm. Musée du Louvre, Paris.

Die Verkündigung der Geburt Marias

Die Popularität des Kults der Unbefleckten Empfängnis – lange bevor diese als offizielles Dogma anerkannt wurde – veranlasste manchen Künstler, die Hl. Anne (Anna) darzustellen, die legendäre Mutter von Maria, die ebenfalls vom Volk verehrt wurde. Bernardino Luini (1485-1532) malte Die Verkündigung der Hl. Anna, wie sie glücklich den Worten des über ihr schwebenden Engels lauscht.

Marias Kindheit

Das Thema eines Ereignisses aus Marias Kindheit, gemalt von Nicolas Dipre, ist ihr Besuch im Tempel in Jerusalem. Die Darbringung der Jungfrau im Tempel wurde etwa um das Jahr 1498 gemalt. Sie zeigt Maria als Kind die Stufen zu dem Patriarchen auf dem Thron emporsteigend. Marias Mutter schaut auf die Tochter, während ihr Vater ein kleines Lamm trägt, Symbol für Marias zukünftigen Sohn.

Bernardino Luini, Die Verkündigung der Hl. Anna, frühes 16. Jahrhundert. Pinacoteca di Brera, Mailand.

Lorenzo di Credi, Verkündigung, 1480-1490. Öl auf Holz, 88 x 71 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Sandro Botticelli, Verkündigung, 1489. Tempera auf Holz, 150 x 156 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Die Verkündigung

Leonardo da Vincis Verkündigung, um 1475 gemalt, ist eine der populärsten Versionen dieses Themas. Ein weiße Lilien tragender Engel kniet vor der Madonna, die in der Nähe eines Gebäudes sitzt und ihre linke Hand in einer Geste des Erstaunens hebt. Beide verkörpern vollkommene Schönheit und strahlende Jugend. Die rechte Hand der Jungfrau ruht auf der Seite eines Buchs, Symbol für ihr Wissen von Maria-Sophia, der Verkörperung der Weisheit und des Logos, des Gottesworts. Eine Muschel, die die Einrichtung ziert, stellt die Verbindung zwischen Maria und Venus, der alten römischen Gottheit der Liebe, her.

Lorenzo di Credi stellt Maria stehend vor dem knienden und anbetenden Engel dar. Das Gemälde, das den Titel Verkündigung trägt, wurde zwischen 1480 und 1490 vollendet. Marias Gesicht ist heiter. Der Garten, den man durch die drei Bögen hindurch erblickt, spielt auf die Heilige Dreieinigkeit an und krönt in seiner Vollendung die körperliche Schönheit der beiden Figuren. Unter dem Gemälde stellt ein Relief Adam und Eva und die Vertreibung aus dem Garten Eden dar. Die Maria auf di Credis Verkündigung ist also auch die neue Eva, die Miterlöserin der Menschheit.

Die Verkündigung von Sandro Botticelli, 1489 gemalt, zeigt Maria – eine Frau von vollkommener Schönheit – wie sie zu dem in inbrünstiger, demütiger Haltung verharrenden Erzengel Gabriel hin eine ausdrucksvolle Gebärde macht. Er trägt eine weiße Lilie, Symbol der Reinheit und Vollkommenheit der Jungfrau. Durch die Architektur hinter dem Erzengel wird ein entfernter Horizont sichtbar, auf diese Weise wird die Illusion der Tiefe hinter den beiden Figuren erzeugt.

In Giorgio Vasaris Gemälde Verkündigung wird der Heilige Geist als fliegende Taube über der Jungfrau und dem knienden, weiße Lilien tragenden Erzengel dargestellt. Der Heilige Geist ist von Licht umgeben und wendet sich der Madonna zu, als wolle er mit ihr verschmelzen. Sie scheint mit ihrem Schicksal versöhnt, sie schlägt die Augen nieder. Das Bild, aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammend, betont die Demut und die Ergebenheit Marias in den Willen des patriarchalischen Gottes.

Fra Bartolomeo geht von dem üblichen Kompositionsschema der Verkündigung aus. In seiner Vorstellung sitzt die Madonna auf dem Thron und wird von mehreren Heiligen umringt. Diese unübliche Version trägt den Titel Verkündigung an Maria und Heilige. Es wurde in Florenz in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts gemalt. Maria hält ein Buch in ihrer Hand, seit dem Mittelalter ein traditionelles Symbol für ihr Wissen um das Wort Gottes.

Direkt über ihrem Kopf ist die Taube zu sehen, der Heilige Geist, während der Erzengel der Verkündigung auf sie zufliegt. Die beiden Heiligen mittleren Alters stehen auf der einen Seite Marias, und die beiden alten Heiligen – die schon deutliche Zeichen des Verfalls erkennen lassen – auf der anderen Seite. Zwei weibliche Heilige knien am Fuß der Stufen und bilden ein Dreieck mit Maria an der Spitze.

Alle drei Frauen stehen für das weibliche Schönheitsideal der Renaissance, während das Studium männlicher Physiognomien Jugend und Alter umfasst: Dieser patriarchalische Brauch hat sich sowohl in der Kunst als auch in Film und Fernsehen bis in die heutige Gesellschaft erhalten. Der Betrachter sieht häufiger Männer als Frauen; die Frauen sind meist jung und schön, während die Männer keinem festgelegten physischen Standard entsprechen.

Giorgio Vasari, Verkündigung, 1563-1572. Öl auf Pappelholz, 216 x 166 cm. Musée du Louvre, Paris.

Domenico Ghirlandaio, Die Heimsuchung, 1491. Tempera auf Holz, 172 x 167 cm. Musée du Louvre, Paris.

Die Heimsuchung

Das nächste, häufig dargestellte Ereignis in Marias Leben wird gewöhnlich „Die Heimsuchung“ genannt. Maria besucht, während sie Jesus erwartet, ihre hochschwangere Cousine Elisabeth, die den späteren Johannes d. T. erwartet. Elisabeth, der die Bedeutung von Marias Schwangerschaft bewusst ist, wird dargestellt, wie sie vor Maria kniet oder sie vor Freude umarmt. Domenico Ghirlandaio vollendete 1491 diese Fassung von Die Heimsuchung.

Das Bild hängt heute im Louvre in Paris. Auf Ghirlandaios Gemälde befinden sich Maria und Elisabeth vor einem Bogen, der den Blick auf eine Stadt am Fluss freigibt. Elisabeth kniet vor Maria, deren junges Gesicht schön und ruhig ist.

Zwei weitere junge, liebreizende Frauen stehen auf beiden Seiten hinter Maria und Elisabeth; eine von ihnen scheint ebenfalls schwanger zu sein. Die zärtliche und gefühlsbetonte Szene drückt eine innige Verbindung zwischen den Frauen aus.

Die Heimsuchung von Mariotto Albertinelli zeigt zwei Gestalten, Maria und Elisabeth, vor einem Arkadenbogen, der den Blick auf den Himmel freigibt. Elisabeth wendet sich Maria zu und legt ihren linken Arm um sie, die beiden reichen sich die rechte Hand.

Es ist eine zärtliche Szene, die gegenseitige Zuneigung und Hochachtung der beiden Frauen zum Ausdruck bringt.

Ein Werk ähnlichen Zuschnitts von Sebastiano del Piombo zeigt Maria und Elisabeth vor einer Landschaft. Diese lebendigen Gestalten scheinen in ein Gespräch vertieft: Die ältere Frau, Elisabeth, blickt Maria bewundernd an.

Die Jungfrau legt ihren Arm um Elisabeths Schulter, eine liebevolle Geste. Der Künstler will die Beziehung und die spirituelle Verbindung zwischen den beiden Frauen zeigen. Heimsuchung von del Piombo wurde im Jahr 1519 vollendet.

Die Heimsuchung von Jacopo da Pontormo, um die Mitte des 16. Jahrhunderts gemalt, betont noch stärker die menschlichen Beziehungen zwischen den Heiligen, die innige Freundschaft und Zuneigung vereint. Die Gruppe der vier Frauen nimmt in dem Gemälde den größten Raum ein.

Maria und Elisabeth werden im Profil gezeigt, sie blicken sich gegenseitig an und umarmen sich. Anne, die Mutter Marias, steht in der Mitte hinter ihnen und schaut genau wie eine junge Frau hinter Maria den Betrachter an.

Das Ereignis wird als fast alltäglich dargestellt, nur die Pastellfarben der Manieristen und der kaum sichtbare Heiligenschein erinnern den Betrachter an die außergewöhnliche Bedeutung der Szene.

In der gesamten Ikonografie Marias ist das Thema der Heimsuchung wohl am besten dazu geeignet, Maria als menschliches, weibliches Wesen darzustellen.

Jacopo (Carucci) da Pontormo, Die Heimsuchung, um 1530. Malerei. Kirche von San Michele, Carmignano.

Sebastiano del Piombo, Die Heimsuchung, 1519. Öl auf Leinwand, 168 x 132 cm. Musée du Louvre, Paris.

Filippo Lippi, Maria mit Kind mit Geschichten aus dem Leben der Hl. Anna, 1452. Tondo, Tempera auf Holz, Durchmesser: 135 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Madonna mit Kind

Vermutlich schufen die Künstler der Renaissance zu dem Thema Madonna mit Kind mehr Kunstwerke als zu irgendeinem anderen Thema mit marianischem, christlichem oder mythischem Inhalt. Die Schönheit eines typischen Renaissance-Gemäldes der Madonna mit Kind ist vielen Menschen sehr vertraut. Der Stil ist gewöhnlich realistisch und gibt die Wirklichkeit oder die natürliche Umgebung genau wieder. Die Künstler ließen sich durch die ungekünstelte Schönheit der Modelle zu idealisierten Bildern der Jungfrau und ihres Kindes inspirieren, die die Stellung der Frauen in der Gesellschaft jener Zeit widerspiegelten. Ihr Rang wurde weitgehend durch ihre Erscheinung, ihr Alter und ihre Fähigkeit, männliche Nachkommen hervorzubringen, bestimmt. Häufig genug wurden Frauen in sehr jungen Jahren mit älteren Männern verheiratet, die sie nicht einmal kannten. Es wurde von den Frauen erwartet, dass sie zu Maria aufschauten, die zwar wegen ihrer jungfräulichen Geburt ein unerreichbares Ideal, aber dennoch vertraut war, weil auch Maria offensichtlich nicht aus Liebe, sondern aus Pflicht die Ehe einging. Wie Maria erwarteten sie, nur in der Rolle der Mutter Trost zu finden und ganz in der Mutterliebe aufzugehen, aber nicht, sich sinnlichen Gefühlen für das männliche Geschlecht hinzugeben. Das göttliche Element in Maria wirkte gleichermaßen anziehend auf Frauen und Männer, die in Marias mütterlicher Gestalt, fähig zu grenzenloser Liebe für ihren Sohn und ihr Volk, Trost suchten.

Viele italienische Künstler der Renaissance bevorzugten das Tondo oder Rundbild für ihre Gemälde. Filippo Lippi schuf 1452 seine Maria mit Kind mit Geschichten aus dem Leben der Hl. Anna. Diese Darstellung der Jungfrau und ihres Kindes ist gleichzeitig eine Verherrlichung von Marias eigener Geburt. Die Hintergrundszenen sind der Mutter der Jungfrau gewidmet, der Hl. Anne (oder Anna) und beinhalten das erste Treffen von Anne und ihrem zukünftigen Ehemann Joachim sowie eine Szene der folgenden Geburt von Maria. Im Vordergrund befindet sich die Madonna mit ihrem Kind. Wie Persephone, die griechische Göttin der Jahreszeiten, hält sie einen Granatapfel, ein Symbol der Wiedergeburt, Fruchtbarkeit und Fülle der Natur. Das Jesuskind hält eine Frucht und führt mit der erhobenen Rechten die Kerne zu seinem Mund.

Mariotto Albertinelli, Die Heimsuchung, 1503. Öl auf Holz, 232 x 146 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Andrea Mantegna, Maria mit Kind, um 1466. Tempera auf Holz, 29 x 21,5 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Masolino (da Panicale) und Masaccio (Tommaso Cassai), Hl. Anna Metterza, um 1424. Tempera auf Holz, 175 x 103 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Die Maria mit Kind wurde von Andrea Mantegna gegen Ende des 15. Jahrhunderts vollendet. Maria sitzt inmitten einer felsigen Landschaft. Ihr nachdenklicher Blick ruht auf ihrem Kind, das frontal zum Betrachter auf ihrem Knie sitzt. Hinter ihnen ist eine Ernteszene zu sehen. Ebenso wie im Mittelalter wird auf Maria in der Renaissance die Rolle der Madonna des Korns oder der Ernte oder der Mutter der Natur übertragen.[17] Dieser Aspekt des Marienkults stellt sie in eine Reihe mit zahlreichen frühen Göttinnen wie Demeter oder Juno, beide Gottheiten wurden mit dem Ackerbau in Verbindung gebracht und als Spenderinnen von reichen Getreideernten verehrt.

Eine andere Version der Madonna mit ihrem Kind wurde von Masolino und wenig später von Masaccio kurz nach 1424 geschaffen. Dieses Gemälde in Tempera mit dem Titel Hl. Anna Metterza stellt Maria auf dem Thron dar mit ihrem Sohn Jesus auf dem Schoß. Direkt hinter ihr steht die mächtige Figur ihrer Mutter, der Hl. Anna. Sie sind von betenden Engeln umgeben. Dieses Bild erinnert an die früheren Mutter- und Tochter-Göttinnen. Die Mutter-Göttin Demeter und ihre Tochter Persephone wurden in der Antike von den Griechen als Göttinnen der Schöpfung und des sich erneuernden Lebens der Natur verehrt. Naturgöttinnen wurden auf früheren Bildern oft in Dreiergruppen gezeigt und manchmal war die dritte Gottheit, ein Kind, männlichen Geschlechts.[18]

Leonardo da Vincis Interpretation der Madonna mit Kind, zusammen mit Marias Mutter, hängt im Louvre (Paris) und trägt den Titel Die Jungfrau mit Kind und der Hl. Anna. Maria sitzt auf dem Schoß der Hl. Anna und hält ihr Kind, das mit einem kleinen Lamm spielt, ein Symbol für Jesus als Erlöser. Jesus Blick ist auf seine Mutter gerichtet. Die Hl. Anna schaut gedankenvoll auf ihre Tochter Maria. Sie werden inmitten einer Landschaft gezeigt und haben eher menschliche als göttliche Züge. Das Bild behandelt die Verbundenheit von Mutter und Tochter und die tiefe Bedeutung einer solchen Verbundenheit.

Die Felsgrottenmadonna, etwa 1493, ebenfalls von Leonardo da Vinci, ist wahrscheinlich das bekannteste Bild der Jungfrau mit Kind in der westlichen Welt. Dieses sich heute ebenfalls im Louvre befindende Werk ist eines der gelungensten Beispiele für die Anwendung der Raumperspektive und der korrekten Verkürzung der menschlichen Gestalt. Leonardo sah seine Aufgabe darin, die Schönheit der Natur auf der Leinwand neu zu erschaffen. Die Gestalt der Madonna füllt die Spitze der pyramidenförmigen Komposition dieses Gemäldes aus – den bedeutendsten Platz – entsprechend ihrem hohen Rang im damaligen christlichen Glauben. Sie wird vom Jesuskind, dem Hl. Johannes und einem möglicherweise weiblichen Engel begleitet. Alle vier verkörpern das Schönheitsideal der Renaissance. Leonardo verzichtete auf Heiligenscheine, um eine menschlichere Wirkung der Gruppe zu erreichen. Die Jungfrau wird als vollkommene Frauengestalt dargestellt, sie besitzt auch die Eigenschaften der zärtlichen Mutter Erde, die an die Darstellung der Großen Göttin Isis in früherer Zeit erinnern.

Heilige Familie mit dem jungen Hl. Johannes der Täufer, auch Doni-Tondo genannt, wurde von Michelangelo zur Feier der Hochzeit von Agnolo Doni mit Maddalena Strozzi gemalt. Die Tatsache, dass dieses Werk nicht für eine Kirche geschaffen wurde, könnte den sichtbar freieren Umgang Michelangelos mit dem Thema erklären, der im Hintergrund der kleinen Figur des Hl. Johannes sieben nackte junge Männer platziert. Die junge, kräftige Figur der Maria in eleganter Haltung mit dem Kind auf dem Arm bildet einen Kontrast zu Joseph, der, wie es im Mittelalter üblich war, um seine Vaterrolle weniger zu betonen, als vom Alter gekennzeichneter Mann dargestellt ist. Das Kind ist wie die Mutter aktiv und voller Leben. Auch in diesem Werk wirken Maria und Jesus ganz menschlich.

Die Madonnenbilder von Botticelli, zwischen 1481 und 1485 datiert, verkörpern vielleicht in reinster Form das physische Ideal, das sich in der Renaissance entwickelte, und zwar sowohl hinsichtlich der Madonna als auch des Jesuskindes. Gleichzeitig ist die Szene – Madonna del Magnificat – von tiefer Spiritualität erfüllt. Das Bild wurde in Tempera auf Holz gemalt. Maria wird sitzend dargestellt, mit dem Kind auf ihrem Schoss. Die Engel halten eine geschmückte Krone über ihr Haupt, die den Betrachter daran erinnern soll, dass sie die Himmelskönigin ist, während sich Kind und Mutter verzückt anschauen. Das Kind legt seine Hand auf eine Buchseite und deutet auf das Wort „Magnificat“, eine Anspielung auf Marias Bereitschaft, es zu empfangen, und ihre an den Erzengel der Verkündigung gerichteten Worte „meine Seele preiset den Herrn“ (lateinisch: Magnificat anima mea Dominum).

Auf einem anderen Gemälde Botticellis, auch Maria mit dem Granatapfel benannt und 1487 vollendet, bildet die sitzende Jungfrau mit dem Kind auf ihrem Schoß das Zentrum der Komposition, umgeben von Blumen tragenden Engeln und von Büchern, Symbole für Marias Vollkommenheit, Reinheit und für ihre Weisheit. Das Kind hält den Granatapfel, eine Anspielung auf die Fruchtbarkeit und die Leben spendende Macht der Göttin. Im alten Rom wurde die Göttin Hera als „Unsere Frau des Granatapfels“ verehrt, und einem alten Mythos zufolge aßen die Seelen vor ihrer Reise ins Jenseits von dieser Frucht in der Hoffnung auf ihre Wiedergeburt.[19] Botticelli zieht eine Parallele zwischen der Rolle Marias, wie das Volk sie sieht, und den Göttinnen früherer Religionen.

Leonardo da Vinci, Die Jungfrau mit Kind und der Hl. Anna (Detail), erstes Viertel des 16. Jahrhunderts. Öl auf Pappelholz, 168 x 130 cm. Musée du Louvre, Paris.

Leonardo da Vinci, Die Jungfrau mit Kind und der Hl. Anna, erstes Viertel des 16. Jahrhunderts. Öl auf Pappelholz, 168 x 130 cm. Musée du Louvre, Paris.

Michelangelo Buonarotti, Heilige Familie mit dem jungen Johannes dem Täufer (Das Doni-Tondo), um 1506-1508. Tondo, Tempera auf Holz, Durchmesser: 120 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Raffael (Raffaello Sanzio), Die Madonna des Stuhls, 1513. Öl auf Holz, Durchmesser: 71 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Sandro Botticelli, Madonna del Magnificat (Detail), 1481-1485. Tondo, Tempera auf Holz, Durchmesser: 118 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Sandro Botticelli, Maria mit dem Granatapfel, wahrscheinlich 1487. Tondo, Tempera auf Holz, Durchmesser: 143,5 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Der Mann, der die Madonna mit dem Goldfinken (Madonna del Cardellino) in Auftrag gab – ein Mann namens Lorenzo Nasi – war ein wohlhabender Kaufmann, und das Gemälde erinnerte an seine Hochzeit mit Sandra Canigiani. Raffael stellte die Gestalt der Madonna entsprechend der üblichen Pyramidenform ins Zentrum der Komposition. In der Linken hält Maria ein Buch, während ihr rechter Arm das Jesuskind umfasst, dessen kleine Hände einen Goldfinken halten. Der Hl. Johannes als Kind versucht, den Vogel zu liebkosen. Die Gestalten sind idealisiert und beide, Maria wie Jesus, haben kaum sichtbare Heiligenscheine über ihren Köpfen, die perspektivisch wiedergegeben sind, um den Realismus des Stils nicht zu beeinträchtigen. Ein Landschaftspanorama öffnet sich im Hintergrund zu beträchtlicher Tiefe. Das Gemälde entstand in den Jahren 1505-1506.

Das Bildnis La Belle Jardinière oder Die Jungfrau mit dem Kind und dem Hl. Johannesknaben, 1507 oder 1508 vollendet, stammt ebenfalls von Raffael. Es zeigt das Trio inmitten einer hübschen ländlichen Umgebung. Die Ähnlichkeit zwischen der Madonna mit dem Goldfinken und dieser Darstellung der Madonna ist mehr als zufällig: Sie stellt das Ideal weiblicher Schönheit bei Raffael dar. Vielleicht wurde für beide Bilder dasselbe Modell benutzt.

Raffael malte auch um 1513 ein als Die Madonna des Stuhls bekanntes Tondo. Dieses Werk zeigt Maria mit ihrem Kind auf dem Schoß, während der Hl. Johannes, ein älteres Kind, beide anbetend betrachtet; er faltet seine kleinen Hände in einer Geste der Huldigung. Die emotionale Verbindung zwischen der Jungfrau und ihrem Kind ist deutlich, sie lehnt ihren Kopf an den des Kindes. Aber ihre schönen Augen wenden sich auch dem Betrachter zu, denn sie ist auch dessen Mutter.

Leonardo da Vinci, Die Felsgrottenmadonna, um 1483. Öl auf Leinwand, 199 x 122 cm. Musée du Louvre, Paris.

Raffael (Raffaello Sanzio), Madonna mit dem Goldfinken (Madonna del Cardellino), 1505-1506. Tempera auf Holz, 107 x 77 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Raffael (Raffaello Sanzio), Die Jungfrau mit dem Kind mit dem Hl. Johannesknaben (La Belle Jardinière), 1507 oder 1508. Öl auf Holz, 122 x 80 cm. Musée du Louvre, Paris.

Lucas Cranach d. Ä., Die Jungfrau mit dem Kind unter dem Apfelbaum, 1520-1530. Öl auf Leinwand, 87 x 59 cm. Eremitage, St. Petersburg.

Ein anderes Tondo wurde von Francisco Botticini 1482 gemalt und zeigt eine Fülle von Details – ein flämischer Einfluss. Botticini stellt Maria sitzend in der Mitte des Bildes dar, das Kind liegt zu ihren Füßen. Sie verkörpert das Schönheitsideal der Renaissance und wird dargestellt, wie sie ihren Sohn anbetet. Die Mutter und das Kind sind von sechs Engeln umgeben. Einer von ihnen legt eine Blumengirlande auf die Schamteile Christi, während ein anderer auf der gegenüberliegenden Seite der pyramidenförmigen Komposition auf die Geschlechtsteile des Kindes hindeutet, deren Betonung in der Renaissancekunst auf die Menschwerdung des Gottessohnes als männliches Wesen hinweisen soll und in subtiler Weise seine Sinnlichkeit andeuten.[20]

Luca Signorellis Tondo, das einige Jahrzehnte später entstand, stellt die Madonna und ihr nacktes Kind in den Vordergrund, sie wendet ihm den Kopf zu. Ein kaum sichtbarer Heiligenschein über ihren Köpfen erinnert den Betrachter an ihre Heiligkeit, während die physische Schönheit des Kindes das Thema der Menschwerdung betont. Im Hintergrund sieht man vor dem Haus eine Szene mit mehreren nackten oder halbnackten Jünglingen. Sie bedeuten strahlende männliche Jugend, eine Vorhersage der Menschwerdung Christi als gottgleicher Mann.

Im Gegensatz dazu sind auf dem Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. Die Jungfrau mit dem Kind unter dem Apfelbaum Mutter und Kind schön, realistisch und menschlich dargestellt. Die Jungfrau hält ihr nacktes Kind, wobei sie mit der rechten Hand seine Schamteile zu bedecken versucht, ein konservativerer, nordischer Umgang mit dem Thema der Männlichkeit von Jesus. Reife Äpfel hängen an dem Apfelbaum hinter ihnen und das Kind hält einen in seiner linken Hand. Die Symbolik des Baums erinnert den Betrachter an die Geschichte vom verlorenen Paradies und bestätigt Maria als die neue Eva, die Neue Mutter und Miterlöserin der Menschheit. In vorchristlicher Zeit war der Apfelbaum ein Symbol für die prähistorische weibliche Gottheit, die fruchtbare Mutter/ Schöpferin und auch für viele andere Göttinnen früherer Religionen.

Francesco Botticini, Die Anbetung des Kindes, 1482. Tempera auf Holztafel, Durchmesser: 123 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Luca Signorelli, Maria mit Kind mit Allegorischen Figuren, um 1490-1495. Tempera auf Holz, 170 x 117,5 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Rogier van der Weyden, Der Hl. Lukas malt die Jungfrau, um 1450. Öl auf Holz, 138 x 110 cm. Alte Pinakothek, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München.

Die Maler der Jungfrau

Der Hl. Lukas, der Apostel, der verbriefte Verfasser eines der vier anerkannten Evangelien, ist der Tradition zufolge auch der erste Maler eines Marienportraits. Rogier van der Weyden knüpft in seinem Bild um das Jahr 1450 Der Hl. Lukas malt die Jungfrau malend an diese Tradition an.

Das Bild mit vielen Einzelheiten im flämischen Stil zeigt Maria unter einem Baldachin, wie sie ihr Kind stillt und Lukas vor ihr, der sie zeichnet. Durch die Säulen im Hintergrund hat der Betrachter die Aussicht auf ein Panorama. Stillende Madonnen gehörten seit dem Mittelalter zur marianischen Tradition und Lehre. „Marias Milch“ war tatsächlich Quelle der Verehrung als wundertätiges Mittel, das als eine der Heiligen Reliquien im Mittelalter betrachtet und bis in die Zeit der Renaissance verehrt wurde.[21]

Die Ursprünge von Tradition und Symbolik dieser Art reichen mehrere tausend Jahre zurück bis in die Antike, als die Schöpfer-Göttinnen wie Isis als symbolische Milchspenderinnen in ihrer Rolle als barmherzige und nährende Mütter des Universums gefeiert wurden.

Das milchige Sternenband, Milchstrasse genannt, galt als Symbol der Göttin und der Marienkult greift diese Volkstradition wieder auf.

Inspiriert durch die Legende des Hl. Lukas als Künstler, stellte sich Sofonisba Anguissola vor ihrer Staffelei dar, die Madonna und ihr Kind malend. Ihr rundes Gesicht ist der unsichtbaren Maria und dem Betrachter zugewandt. Das Bild auf ihrer Staffelei (manche Kunsthistoriker sind der Auffassung, dass das Bild im Bild tatsächlich existierte) zeigt eine sitzende Madonna, die sich an ihr Kind lehnt, das neben ihr steht.

Die Jungfrau küsst zärtlich ihren geliebten Sohn. Anguissola benutzte das beliebte Thema der küssenden Madonna, um ihre Botschaft von der übergroßen und tiefen Liebe der Mutter der Kirche für ihr Kind und darüber hinaus für alle Menschenkinder zu vermitteln. Das Werk mit dem Titel Selbstporträt mit Staffelei wurde1556 geschaffen.

Sofonisba Anguissola, Selbstporträt mit Staffelei, 1556. Öl auf Leinwand, 66 x 57 cm. Muzeum Zamek, Lancut.

Veronese (Paolo Caliari), Heilige Familie mit den Heiligen Barbara und Johannes, 1528-1588. Öl auf Leinwand, 86 x 122 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Die Heilige Familie

Im Vergleich zu dem vorigen Bild von Anguissola, das eine neue Auffassung zeigte, folgte ihre Version von Die Heilige Familie einem traditionelleren Schema, das die Protagonisten in eine natürliche Umgebung versetzt. Marias Blick richtet sich auf ihren Erstgeborenen in den Armen Josephs. Der Ersatzvater wird als ein älterer Mann dargestellt, der sich seinem kleinen Sohn zuwendet. Der Blick des Kindes ist jedoch ausschließlich auf seine junge Mutter gerichtet. Die Jungfrau hält ihrem Sohn einige Blumen entgegen, ihre Hand greift nach der Hand des Kindes. Blumen sind Symbol für die Schönheit und die Reinheit Marias und können auch ihre Göttlichkeit verkörpern. Sie werden gewöhnlich mit den weiblichen Göttinnen der heidnischen und prähistorischen Religionen in Verbindung gebracht und symbolisieren die schöpferischen Kräfte der Göttinnen.

Heilige Familie mit den Heiligen Barbara und Johannes wurde von Paolo Veronese geschaffen. Die Madonna und ihr Kind werden in Gesellschaft der schönen Hl. Elisabeth gezeigt, während der Hl. Johannes und der kahle Kopf des betagten Hl. Josephs auf der gegenüberliegenden unteren Ecke des Gemäldes erscheinen. Das Jesuskind ist nackt, es lehnt sich an den Schoß seiner Mutter und berührt sein Geschlecht mit der rechten Hand. Die Blicke der Hl. Elisabeth, des kindlichen Hl. Johannes und des betagten Hl. Joseph treffen am Geschlecht des Kindes zusammen. Dieses Gemälde ist Ausdruck der in der Renaissance und im Barock verbreiteten Tradition, die Männlichkeit und Sexualität von Jesus zu betonen. Ein Mann zu sein war im christlichen, patriarchalischen Denken ein Privileg und ein Vorzug, und es war von größter Wichtigkeit für die Kirchenväter, dass der menschgewordene Gott, Jesus, als männliches Kind empfangen worden war.

Sofonisba Anguissola, Die Heilige Familie, 1559. Öl auf Leinwand. 36,8 x 31 cm. Accademia Carrara, Bergamo.

Bronzino (Agnolo di Cosimo), Die Heilige Familie mit dem Johannesknaben, um 1540. Tempera auf Holz, 117 x 93 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Es gehörte in der Renaissancekunst fast zur Tradition, den alternden Joseph als Mann mehr in der Rolle des Beschützers seiner Frau als in der ihres aktiven sexuellen Partners zu zeigen. Bronzino malte seinen Joseph jedoch als recht attraktiven und kräftigen Mann. Er folgte also einem Gegentrend, der die aktive Beteiligung Josephs bei der Erziehung des Christuskindes betonte, zurückzuführen auf die Tatsache, dass der autoritäre Klerus von Neuem versuchte, die Rolle Marias in der Christenheit dadurch abzuwerten, dass er mit Hilfe der Inquisition die verbliebenen angestammten Rechte der Frauen weiter beschnitt. Der idealisierte und sinnliche Körper der Jungfrau beherrscht dennoch die Szene Die Heilige Familie, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand. Der Hl. Johannes ist im Begriff, es auf die Wange zu küssen. Die Köpfe aller vier sind von kaum sichtbaren Heiligenscheinen gekrönt, die den Betrachter daran erinnern sollen, dass es übermenschliche Wesen sind.

Manche Künstler empfanden es als nicht notwendig, Joseph in die Szenen der Heiligen Familie mit einzubeziehen, und Tizian folgt dieser abgewandelten Tradition und ersetzt ihn in seinem Bild mit dem Titel Die Jungfrau mit dem Kaninchen, im Jahr 1530 vollendet, durch die Mutter der Jungfrau, die Hl. Anne. Die zentrale Position des Jesusknaben zwischen den Frauen rückt ihn ins Zentrum ihrer Verehrung und Aufmerksamkeit. Die Madonna hält mit ihrer linken Hand ein zahmes weißes Kaninchen. Im Hintergrund und auf der rechten Seite der Figuren ist eine Landschaft mit Schafen und einem Hirten zu sehen. Die Anwesenheit des Kaninchens weist auf die Verbindung zu heidnischen Mythologien hin, die Fruchtbarkeit und Fülle der Natur wird Göttinnen wie Isis, Juno und Demeter zugeschrieben. Im Mittelalter wurde das Wunder der sich in ihrer Fülle ständig erneuernden Natur Maria zugeschrieben und diese Tradition blieb in den folgenden Jahrhunderten lebendig.[22]

Das Thema der beiden Mütter und ihrer Kinder wurde von Andrea del Sarto in seiner Madonna und Kind mit den Heiligen Elisabeth und Johannes als Kind interpretiert, das Bild wurde um 1528 geschaffen. Die obere Ecke des Gemäldes zeigt die ältere Elisabeth mit ihrem Kind, dem Hl. Johannes, die auf Maria und das Jesuskind auf ihrem Schoß schauen. Beide, Maria und Jesus, erscheinen gleichsam vollkommener als „die gewöhnlichen menschlichen Lebewesen“.

Tizian (Tiziano Vecellio), Die Jungfrau mit dem Kind und mit der Hl. Katharina, bekannt als Die Jungfrau mit dem Kaninchen, 1520-1530. Öl auf Leinwand, 71 x 87 cm. Musée du Louvre, Paris.

Hans Memling, Maria mit dem Kind und zwei Engeln, um 1480. Öl auf Holz, 57 x 42 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Die Thronende Madonna

Künstler der Renaissance schufen in Europa zahlreiche Varianten von Maria als der Königin des Himmels, als Verkörperung der Kirche und als gütige Mutter der Menschheit. Ein solches Beispiel ist das auf Holz gemalte Bild von Hans Holbein d. Ä. aus dem Jahr 1499 mit dem Titel Die Jungfrau mit dem Kind. Diese frühe Version der Thronenden Madonna zeigt die Jungfrau auf einem Thron sitzend, ein flacher Heiligenschein umgibt ihr Haupt. Das Jesuskind, auf ihrem Schoß stehend, umarmt seine Mutter. Zwei männliche Engel beten die Jungfrau und ihr Kind an. Der reich verzierte gotische Bogen über der Szene weist den Betrachter darauf hin, dass Maria das Symbol für die Mutter Kirche ist.

Hans Memling malte seine Maria mit dem Kind und zwei Engeln in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Jungfrau und das Kind sitzen auf einem Thron in einer prächtigen Umgebung. Goldene Strahlen gehen vom Haupt der Himmelskönigin aus und die beiden Engel musizieren für ihren Sohn. Ein Bogen über ihnen tragen Cherubim, die schöne Girlanden aus Früchten und Blumen halten, eine Anspielung auf den Reichtum der Natur, eine Gabe, die Maria im Glauben des Volkes wie die Göttinnen der Vergangenheit ihren Anhängern verlieh.

Ein anderer flämischer Künstler, bekannt als der Meister von Hoogstraten, malte seine Madonna mit Kind und Heiligen nach 1500. Um den prächtigen Thron der Jungfrau schweben zwei Engel, die eine mit Edelsteinen besetzte Krone über Marias Haupt halten. Zu Füßen der Himmelskönigin befinden sich zwei junge weibliche Heilige, die Hl. Katharina und die Hl. Barbara. Die Hl. Katharina reicht dem Jesuskind, das die Arme nach ihr ausstreckt, eine Frucht. Der Legende nach war sie die spirituelle Braut Jesu, daher verwandelt sich die Frucht – üblicherweise ein Symbol für Fruchtbarkeit – hier in ein Symbol spiritueller Erleuchtung. Im Mittelalter und in der Renaissance war es Brauch[23], Nonnen und Jungfrauen als „Bräute Christi“ zu betrachten; Nonnen verstehen sich bis zum heutigen Tag als solche. Die Italienreise des Künstlers mag ihn zur architektonischen Umgebung der Szene inspiriert haben.

Hans Holbein d. Ä., Die Jungfrau mit dem Kind, 1499. Öl auf Holz. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg.

Parmigianino, Madonna mit Kind und zwei Engeln (Madonna mit dem langen Hals), 1534-1540. Öl auf Holz, 219 x 135 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Eine frühe Version der Thronenden Madonna in der italienischen Renaissance von Gherardo Starnina mit dem Titel Madonna und Kind mit dem Hl. Johannes dem Täufer, dem Hl. Nikolaus und vier Engeln entstand im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Die Komposition und der Stil dieses Werks folgen der weit verbreiteten gotischen Tradition der Zeit. Schwebende Engel bilden einen gotischen Bogen, unter dem die Madonna mit ihrem Kind sitzt. Diese symmetrische Komposition hat einen goldenen Hintergrund und die flachen Sonnenaureolen um die Jungfrau und das Kind betonen die Verbindung zur Gotik. Zwei der Engel halten Vasen mit voll erblühten weißen Lilien – Blumen, die die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau verkörpern.

Eine andere Version der Madonna auf dem Thron stammt von Francesco Botticini und wurde im süäten 15. Jahrhundert in Florenz geschaffen. Sie trägt den Titel Die Jungfrau mit Kind in der Glorie mit der Hl. Maria Magdalena, dem Hl. Bernhard und Engeln und stellt Maria mit dem Kind auf ihren Knien dar. Der Körper der Madonna ist von Sonnenstrahlen umgeben. Sie erscheint in den Wolken in einem Engelreigen. Am unteren Rand ist der Hl. Bernhard als Mann mittleren Alters mit zerfurchten Zügen und einer Mönchskutte dargestellt. Die junge Maria Magdalena wird entsprechend der im Mittelalter entwickelten Ikonografie nackt dargestellt, ganz in ihr langes Haar eingehüllt. Die Himmelskönigin erscheint hier als triumphierende Sonnengöttin des Volkes.

Die Jungfrau mit Kind auf dem Thron in Begleitung von Engeln und Heiligen wurde von Perugino gegen Ende des 15. Jahrhunderts als Tondo auf Holz gemalt. Der Künstler stellt eine weibliche Sicht des Themas der Madonna auf dem Thron vor. Die Jungfrau, ein Bild physischer Perfektion, erscheint erdverbunden. Sie sitzt auf einem Thron mit dem Kind auf ihrem Schoss. Der Hintergrund gibt den Blick frei auf ein Landschaftspanorama. Zwei Engel stehen direkt hinter der Madonna. Die Engel erscheinen hier entsprechend der in der Renaissance üblichen Ikonografie als zwei schöne junge Frauen. Ihre Körperhaltung und ihr gesenkter Blick drücken Verehrung für die Jungfrau und ihr Kind aus. Auf jeder Seite der Madonna stehen die Gestalten der Hl. Rosa und der Hl. Katharina, zusammen bilden sie eine weibliche spirituelle Dreieinigkeit. Die symmetrische Komposition der Szene steht für Einheit und Ausgeglichenheit.

Ein etwas geheimnisvolles Bild der Madonna und ihres Sohnes wurde um 1534 von dem Künstler des Manierismus Parmigianino geschaffen. Es trägt den Titel Madonna mit dem langen Hals. Das Werk zeigt eine große, zentral angeordnete Figur der Jungfrau. Ihr sitzender, in die Länge gezogener Körper, hält das nackte Jesuskind auf dem Schoß. Eine Gruppe von Engeln ist um sie herum angeordnet, während der Blick des Betrachters auf eine freistehende Säule und den freien Raum dahinter gelenkt wird. Eine unproportional kleine Figur steht in der Nähe der Säule. Die Madonna hat das Aussehen einer aristokratischen Dame oder einer Königin, ihre Gottgleichheit überstrahlt ihre Menschlichkeit.

Madonna mit Kind und acht Heiligen von Bramantino, ein Ölgemälde auf Holz, wurde um 1520 geschaffen. Die Madonna sitzt vor dem Hintergrund eines griechischen Tempels im ionischen Stil drei Stufen über den beiden knienden männlichen Heiligen. Ihr Kind steht auf ihren Knien, während auf jeder Seite des Throns andere Heilige gruppiert sind. Maria erscheint majestätisch, Reminiszenz einer heidnischen, königlichen Gottheit. Obwohl das Patriarchat während der Renaissance seine Macht und Kontrolle über die Frauen verstärkte, blieben die Bilder der Jungfrau oft auf beruhigende Weise göttlich, der realistische Stil ließen die Madonna und ihr Kind zutiefst menschlich erscheinen.

Während der Renaissance trat die Madonna jedoch oft als Anwältin der herrschenden Schicht und der patriarchalischen Kirche auf. Ihre einzigartige jungfräuliche Geburt isolierte sie von den gewöhnlichen Frauen, die das Wunder, zugleich Mütter und Jungfrauen zu sein, nicht vollbringen konnten. Die Ikonografie der Jungfrau zeigt sie oft ausschließlich von Männern umgeben: Jesus, Engeln und Heiligen. Eine wichtige Rolle bei der Diskriminierung des weiblichen Geschlechts spielte die Akzeptanz des Alters bei Männern, jedoch nicht bei Frauen. Weibliche Charaktere wurden gewöhnlich als junge Mädchen oder junge Erwachsene dargestellt und Maria selbst blieb ewig ein junges Mädchen. Filippo Lippi benutzt in seinem 1486 vollendeten Bild Thronende Madonna mit Kind und den Heiligen Johannes der Täufer, Viktor, Bernhard und Zenobius diesen traditionellen Ansatz. Die vier Heiligen werden in verschiedenen Stadien des Alters und der Hinfälligkeit gemalt. Der Thron der Madonna ist reich verziert und über ihr hängt die Krone, passend zu einer göttlichen Königin von höchstem Rang. Ihr goldener Heiligenschein ist durchsichtig und gibt den Blick frei auf eine muschelförmige Nische, während die Engel über ihr Blumengirlanden halten. Muscheln, Symbole der Göttin Aphrodite, schmücken auch den Thron, eine Anspielung auf die Verbindung Marias mit dieser Göttin und ihrer Macht als Mutter der Natur.

Die Madonna des Baldachins von Raffael ist ein anderes Beispiel für die thronende Jungfrau, sie ist von Männern verschiedenen Alters umgeben, von Kindern bis zu Greisen. Die beiden lebensvollen jugendlichen Engel schweben in der Mitte des Bildes über der Madonna und ihrem Kind. Maria ist sehr jung und vertritt ein Schönheitsideal, das den Frauen der Renaissancezeit nachahmenswürdig schien. Obwohl von königlichem Luxus umgeben, wirkt sie bescheiden und unprätentiös. Ihre Aufmerksamkeit ist auf ihr Kind gerichtet, das die beiden Heiligen anschaut.

Francesco Botticini, Die Jungfrau mit Kind in der Glorie mit den Heiligen Maria Magdalena, Bernhard und Engeln, spätes 15. Jahrhundert. Tempera auf Pappelholz, 188 x 177 cm. Musée du Louvre, Paris.

Perugino (Pietro Vannucci), Die Jungfrau mit Kind auf dem Thron in Begleitung von Engeln und Heiligen, um 1490-1495. Tondo, Öl auf Pappelholz. Musée du Louvre, Paris.

Der Meister von Hoogstraten, Madonna mit Kind und Heiligen, nach 1500. Öl auf Leinwand, 84 x 70 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Bramantino (Bartolomeo Suardi), Madonna mit Kind und acht Heiligen, um 1520. Öl auf Holz, 203 x 167 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Filippino Lippi, Thronende Maria mit Kind und den Heiligen Johannes der Täufer, Viktor, Bernhard und Zenobius, 1486. Tempera auf Holztafel, 355 x 255 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Raffael (Raffaello Sanzio), Die Madonna des Baldachins, 1507. Öl auf Holz, 279 x 217 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Die Madonna und der Hl. Sebastian

Der Hl. Sebastian war einer der populärsten männlichen Heiligen der Renaissance. Das legendäre Martyrium dieses Heiligen bot Künstlern die Gelegenheit, einen Mann nackt zu malen. Rosso Fiorentino, ein manieristischer Maler, schuf seine Version der thronenden Madonna, heute oft Altarbild genannt. Sebastian ragt aus der Gruppe von zehn Heiligen hervor, die Maria und das Kind umgeben. Zu ihren Füßen sitzt eine junge weibliche Heilige. Mehrere männliche Heilige aller Altersstufen blicken bewundernd von beiden Seiten auf die Madonna und das nackte Kind. Römische Architektur im Hintergrund lässt eine Verbindung zwischen Maria und der alten römischen Muttergöttin erahnen, aber der Künstler nahm dieses Thema auch zum Anlass, idealisierte männliche Schönheit darzustellen und damit auch die Sinnlichkeit des Mannes in der Tradition der italienischen Renaissance zu verankern.

Als noch gewagtere Version des Themas ist das Bild von Perugino Maria mit Kind und die Heiligen Johannes d. T. und Sebastian, 1493 geschaffen, anzusehen. Die Jungfrau auf dem Thron ist vorbildlich schön und ihr Kind einem Cherubim ähnlich; sie hält ihr Kind, während eine römische Bogenarchitektur den Blick auf den erleuchteten Himmel hinter ihr freigibt. Die Heiligen stehen zu beiden Seiten Marias, der Blick des Hl. Sebastian geht in den Himmel und erinnert den Betrachter an seine spirituelle Natur, sein Körper dagegen, von Pfeilen durchbohrt und mit einem Lendentuch bekleidet, ist eine idealisierte Männergestalt. Seine elegante Haltung im contraposto verstärkt noch die bereits offenkundige Ähnlichkeit mit den Göttern des klassischen Altertums. Sebastiano del Piombo macht ebenfalls die Sinnlichkeit des Hl. Sebastian zum Thema.

Sein Sebastian in Heilige Unterhaltung. Die Heilige Familie mit der Hl. Katharina, dem Hl. Sebastian und einem Patron ist Teil der weniger traditionellen Szene. Der Schutzherr steht hier genau in der Mitte dieser ungewöhnlichen Komposition. Die Jungfrau und ihr Kind als herausragende Gestalten nehmen eine Seite des Bildes ein, hinter ihnen sind das umschattete Haupt Josephs und seine Schultern kaum zu erkennen. Die schöne Hl. Katharina, der Legende entsprechend als spirituelle Braut Christi gekleidet, steht neben ihm. Der Hl. Sebastian ist von Pfeilen durchbohrt, vergießt jedoch kein Blut und seine jugendliche Schönheit wettdenert mit der Marias. Das Gesicht des knienden Schutzherrn befindet sich auf der Höhe des Geschlechts des Kindes, der Künstler möchte dadurch auf subtile Weise die Bedeutung der Physis und Männlichkeit von Jesus, dem menschgewordenen Gott, betonen.

Beide, die Hl. Katharina und der Hl. Sebastian, erscheinen auf Correggios Die Mystische Hochzeit der Hl. Katharina vor dem Hl. Sebastian. Correggio vollendete sein Ölbild auf Holz um 1526 bis 1527. Maria – menschlich, jung attraktiv, wie die übrigen Personen in diesem Drama – ist sitzend mit Jesus auf ihrem Schoß dargestellt, er hält ihre Hand und einen Ring, den er der Hl. Katharina überstreifen will. Alle blicken auf Katharinas Hand. Im Hintergrund ist das Martyrium der beiden Heiligen dargestellt.

Diese bildliche Erklärung bestätigt und bekräftigt die traditionelle Auffassung des Mittelalters und der Renaissance, dass Heilige und Nonnen, die das weibliche Zölibat wählten, Bräute Christi seien, ihres höchsten Herrn. Die Zustimmung der Jungfrau unterstreicht die Zustimmung der patriarchalischen Kirche. Die Szene ist andererseits das Werk eines Künstlers, der zu einer Emanzipationsbewegung gehörte, die für die Wiederbelebung bestimmter Aspekte des heidnischen Erbes innerhalb der Gesellschaft eintrat.

Rosso Fiorentino, Die Thronende Madonna mit Heiligen, 1522. Öl auf Holz, 350 x 259 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Sebastiano del Piombo, Heilige Unterhaltung. Die Heilige Familie mit der Hl. Katharina, dem Hl. Sebastian und einem Patron, um 1507-1508. Öl auf Pappelholz, 95 x 136 cm. Musée du Louvre, Paris.

Michelangelo Buonarotti, Pietà, um 1500. Marmor. Höhe: 1,74 m. Basilica di San Pietro in Vaticano, Vatikanstadt.

Correggio, Die Mystische Hochzeit der Hl. Katharina vor dem Hl. Sebastian, um 1526-1527. Öl auf Pappelholz, 105 x 102 cm. Musée du Louvre, Paris.

Die Pietà: Die trauernde Mutter

Eine andere Tradition in der Darstellung der Schlüsselereignisse in Marias Leben betrifft den Moment der Trauer um ihren toten Sohn Jesus bei der Kreuzabnahme. Zu den bekanntesten Werken von Michelangelo – es ist das einzige signierte Werk – zählt seine Pietà, um 1500 vollendet. Es befindet sich heute im Petersdom in Rom und zieht täglich Massen von Gläubigen und Touristen an. Die lebensgroße Skulptur aus weißem Marmor zeigt Maria mit dem auf ihrem Schoß ruhenden Leichnam Jesu. Beide sind sehr menschlich dargestellt, dennoch eine Verkörperung des Göttlichen. Der tote Jesus scheint friedlich zu schlafen – vielleicht eine Anspielung auf die Wiederauferstehung. Marias Gesicht ist das eines jungen Mädchens, während Jesus seinem wirklichen Alter entsprechend dargestellt ist. Gemäß der Tradition zeigten Michelangelo und seine Zeitgenossen Gottvater als alten Mann, das Alter Jesu variierte von der Kindheit bis zum Alter von dreißig Jahren; Maria wurde gewöhnlich als sehr junge Frau dargestellt. Michelangelos Komposition verheimlicht den Umstand, dass Maria, würde sie aufstehen, Jesus überragen würde. Aber ihr Gesicht zeigt ein freundliches junges Mädchen, unschuldig und jungfräulich. Die Erklärung für diese Auffassung des Themas der Maria bei Michelangelo ist wohl der Konflikt zwischen seinem strengen christlichen Hintergrund und der Anziehungskraft der griechisch-römischen Welt mit ihren sehr physischen Göttinnen und Göttern.

Pietà mit Heiligen (Pietà von Lukas) von Andrea del Sarto wurde 1523 für ein Kloster vollendet. Der Künstler stellt die Gestalt der Maria als trauernde Mutter neben den Leichnam Christi ins Zentrum seiner Komposition. Zwei junge weibliche Heilige stehen ihr zur Seite, eine davon ist Maria Magdalena, oft auch als die „Geliebte Christi“ gesehen, als seine Braut oder Ehefrau. Magdalena bleibt eine widersprüchliche, wenn auch beliebte Gestalt im Christentum, Gegenstand extensiver Forschungen und eines zeitgenössischen spirituellen Diskurses. Die dritte weibliche Gestalt wird als eine andere Maria gesehen, auf diese Weise entsteht eine heilige weibliche Dreieinigkeit mit der Jungfrau Maria und Magdalena. Die drei männlichen Heiligen auf diesem Bild gehören verschiedenen Altersstufen an, von jung bis alt.

Rosso Fiorentino, ein Manierist, schuf seine Interpretation der Pietà zwischen 1530 und 1535. Im Mittelpunkt von Rossos Komposition steht Maria, die Mutter, die ihre Arme voll Schmerz über den Körper von Jesus ausstreckt, während die Braut Jesu (oder seine liebste Gefährtin), Maria Magdalena, sanft seine Füße umfasst.

Rosso Fiorentino, Pietà, 1530-1535. Öl auf Leinwand, 127 x 163 cm. Musée du Louvre, Paris.

Andrea del Sarto, Pietà mit Heiligen (Pietà von Lukas), 1523. Öl auf Holztafel, 238,5 x 198,5 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

„Die Ausgießung des Heiligen Geistes“, aus Heures à l’usage de Rome, 15. Jahrhundert. Buchmalerei. Paris.

Die Ausgießung des Heiligen Geistes

Eine Seite eines Manuskripts aus der frühen Renaissance „Die Ausgießung des Heiligen Geistes“ aus den Heures à l’usage de Rome, im 15. Jahrhundert entstanden, zeigt die Heilige Jungfrau im Kreis der zwölf Apostel, als der Heilige Geist über sie kommt. Der Heilige Geist ist in Form einer Taube dargestellt und schwebt über ihren Köpfen – tatsächlich fast direkt über Marias Kopf. Sie ist die einzige weibliche Person – wie häufig in Illustrationen der Schriften des Neuen Testaments – die durch die Gegenwart des Heiligen Geistes erleuchtet wird.

Eine spätere Renaissance-Version der Ausgießung des Heiligens Geistes auf die Jungfrau und die Jünger nach dem Tod von Jesus – Die Ausgießung des Heiligen Geistes, um 1600 – wurde von El Greco gemalt und hängt heute im Prado in Madrid. Der Künstler stellt Maria ins Zentrum seiner Komposition, umgeben von vierzehn Gestalten, zwölf von ihnen sind die Apostel. Die beiden anderen Gesichter, die hinter Maria zu sehen sind, könnten den beiden anderen Marias gehören, Magdalena und der Cousine der Jungfrau. Der Heilige Geist, der direkt über der Madonna schwebt, wird als fliegende Taube dargestellt, von Strahlen goldenen Lichts umgeben. Die mystischen „Feuerzungen“ von Pfingsten sind auf den Köpfen aller Mitglieder der Gruppe zu sehen, die alle durch das Wissen, das vom Heiligen Geist ausgeht, erleuchtet werden. El Greco wurde von der Byzantinischen Ikonografie beeinflusst und tief geprägt und kann daher mit der frühen Interpretation des Heiligen Geistes als weiblich vertraut gewesen sein. Eine direkte Verbindung zwischen dem Heiligen Geist und Maria ist auf jeden Fall in der Ikonografie der Jungfrau häufig zu erkennen.

El Greco (Domenikos Theotokópoulos), Die Ausgießung des Heiligen Geistes, um 1600. Öl auf Leinwand, 275 x 127 cm. Museo Nacional del Prado, Madrid.

Der Schlaf der Jungfrau

Wie der Tod ihres Sohnes fand auch Marias Tod unter besonderen Umständen statt. Frühere Versionen – wie Jean Fouquets Der Tod der Jungfrau aus dem späten 15. Jahrhundert, heute im Musée Condé, Chantilly – konzentrieren sich auf den Teil der Geschichte, der beschreibt, wie ihr Sohn und „Bräutigam“ ihre Seele in Gestalt eines Kindes in den Himmel trägt. Der Körper der „schlafenden“ Jungfrau wird von Patriarchen umringt. Oben im Himmel hält die lichtumflutete Gestalt Jesu die Heilige Jungfrau als Kind, eine Rollenvertauschung. Engel und Patriarchen begleiten Jesus als Vater und Maria als Tochter. Dieses Bild zeigt die patriarchalische Version der Doktrin, der zufolge Maria, die außergewöhnliche Frauengestalt, wirklich einmalig innerhalb ihres Geschlechts ist.

Matteo di Giovanni, Mariä Himmelfahrt, wahrscheinlich 1474. Tempera und Gold auf Holz, 331,5 x 174 cm. National Gallery, London.

Die Himmelfahrt

Mariä Himmelfahrt von Matteo di Giovanni, wurde im späten fünfzehnten Jahrhundert ausgeführt und erzählt die Geschichte von Marias körperlicher Überführung in den Himmel.

Das Thema erlangte für die christliche Doktrin Bedeutung, da es für die kirchlichen Autoritäten einleuchtend war, dass einzig eine selbst vollkommene Gottesmutter würdig genug war, dem Erlöser der Welt das Leben zu schenken. Der Gedanke, dass ihr Körper wie der von Jesus gemeinsam mit ihrer Seele in den Himmel aufgestiegen war, schien der einzige Weg, um das Dogma von ihrer Reinheit zu beweisen. Die Madonna scheint auf ihrem irdischen Podest zu schweben, umgeben von einer großen Gruppe musizierender Engel. Oben wartet ihr Sohn und „Bräutigam“ auf sie. Ihre Schärpe, die sie von sich geworfen hat, fällt unten auf der Erde in die Hände eines Gläubigen als Beweis für das Wunder der Himmelfahrt.

Benozzo Gozzoli malte seine Version von Marias Himmelfahrt, Madonna mit dem Gürtel genannt, um 1450 bis 1452 in Tempera auf Holz. Es zeigt Maria auf dem Thron über bläulichen Kumuluswolken nach ihrem Aufstieg in den Himmel. Sie trägt einen blauen Umhang, Symbol für ihren Status als Himmelskönigin und ist von einem großen goldenen Nimbus umgeben. Mehrere anbetende Engel nähern sich ihr, einer von ihnen spielt ein Instrument. Den Gürtel oder die Schärpe hat sie einem Engel gereicht, der ihn in die Hände des Hl. Thomas fallen lässt, der unten am Boden kniet. Auf diese Weise wurden alle seine Zweifel, die der Himmelfahrt der Jungfrau galten, zerstreut.

Ein von Andrea del Sarto, einem Künstler der Hochrenaissance, im Jahr 1518 gemaltes Bild, Die Panciatichi Himmelfahrt, stellt eine Gruppe männlicher Heiliger dar, die als Zeugen des Ereignisses das inzwischen verlassene Podium umstehen, von dem aus die Madonna in den Himmel aufgestiegen ist. Oben sitzt die Königin des Himmels, umgeben von einer Gruppe von Cherubim auf Kumuluswolken, ihr Blick ist in Erwartung der Vereinigung mit ihrem Sohn nach oben gerichtet.

Jean Fouquet, Der Tod der Jungfrau, aus Das Goldene Buch des Ritters, spätes 15. Jahrhundert. Manuskript. Musée Condé, Chantilly.

Andrea del Sarto, Die Himmelfahrt der Jungfrau mit Heiligen (Die Panciatichi Himmelfahrt), 1518. Holztafel, 362 x 209 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Benozzo Gozzoli, Madonna mit dem Gürtel, 1450-1452. Tempera auf Holz, 133 x 164 cm. Musei Vaticani, Vatikanstadt.

Die Schutzmantelmadonna

Seit dem Beginn der Christenheit haben Gläubige Maria als ihre mächtigste Beschützerin und Fürsprecherin verstanden.[24] Bilder von Maria, die ihren weiten Mantel ausbreitet, um einer großen Zahl von Menschen Schutz zu gewähren, waren zu byzantinischer Zeit und im Mittelalter weit verbreitet und noch bis ins Renaissancezeitalter hinein beliebt. Friedrich Schramm schuf um 1480 die Holzskulptur einer stehenden Madonna, die unter ihrem Mantel allen Menschen, gleich welchen Geschlechts und sozialen Status, Schutz gewährt, Die Madonna mit dem Schutzmantel. Sie wird als Göttin des Mitgefühls, als Beschützerin ihres Volkes verstanden.

Die Madonna Platytera wurde von Bartolomeo Buon als Relief für die Abbazia della Misericordia im späten fünfzehnten Jahrhundert geschaffen. In diesem Relief mit realistischen Zügen erscheint die Madonna als Idealbild einer Schutzgöttin, die das Volk beschützt, winzige Menschen, die sich unter ihrem Mantel zusammendrängen.

Vor ihrer Brust hält sie das nackte Jesuskind, das auf alle diese Menschen herabsieht, es ist in einem Medaillon eingeschlossen, das wie eine riesige Brosche den Mantel Marias zusammenhält. Im Hintergrund des Reliefs ist der Stammbaum Jesu abgebildet, der Stamm Jesse. Mit anderen Worten: Es stellt die Ahnenreihe Josephs, Marias Ehegatten, dar, wie es im religiösen System der patriarchalischen Gesellschaft Brauch war.

Friedrich Schramm, Die Madonna mit dem Schutzmantel, um 1480. Polychrom verziertes Holz. Staatliche Museen zu Berlin, Berlin.

Bartolomeo Buon, Jungfrau mit Kind mit den knienden Mitgliedern der Gilde der Barmherzigkeit (Die Madonna Platytera), 1445-1450. Skulptur mit hohem Relief, istrischer Stein, aus sechs Blöcken geschlagen. Victoria and Albert Museum, London.

Jan und Hubert van Eyck, Altar von Gent (Mittelteil), 1432. Öl auf Holz, 3,5 x 4,6 m. St.-Bavo-Kathedrale, Gent.

Maria-Sophia

Das bekannte Altarbild in der Kathedrale von Gent, ein Ölgemälde auf Holz, wurde von Jan und Hubert van Eyck 1432 geschaffen. Die drei Tafeln in der Mitte zeigen drei Porträts: Maria-Sophia, Gott Vater/Jesus und Johannes den Täufer. Maria- Sophia wird auf einem Thron sitzend dargestellt, sie trägt die mit Edelsteinen verzierte goldenen Krone der göttlichen Himmelskönigin, ihre dunkelblauen Gewänder sind mit Gold besetzt. Das Buch, in dem sie liest, symbolisiert die Madonna als Heilige Weisheit (Hagia Sophia). Die Vermischung von Maria mit Sophia, dem weiblichen Aspekt Gottes, wurde in der Kunst der frühen Renaissance noch akzeptiert, obwohl die patriarchalische Kirche diese Denkweise bereits energisch zu bekämpfen begann.

Der Meister von Sterzing, Die Madonna im Ährenkleid, um 1450. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck.

Die Madonna des Korns

Im Mittelalter wurde Maria oft als eine Göttin des Ackerbaus verehrt und auf diese Weise mit vielen heidnischen Göttinnen früherer Jahrtausende gleichgesetzt, also mit Gottheiten wie Demeter, Ceres und Juno, die als Begründerinnen des Ackerbaus galten und als geliebte Schutzpatroninnen der Menschen, die Feldarbeit verrichteten, gesehen wurden. Die Madonna im Ährenkleid wurde vom Meister von Sterzing um 1450 für die Kirche in Sterzing in den Bergen Südtirols in Norditalien geschaffen. Erntegöttinnen schrieb man die Verantwortung für Fruchtbarkeit und Überfluss in der Natur zu, wie den großen Muttergottheiten der Frühzeit. Die Kornähren sind von jeher ein Fruchtbarkeitssymbol und Maria setzt diese Tradition fort.[25]

Der Meister von St. Ildefonso, Der Hl. Ildefonso empfängt das Messgewand, Ende des 15. Jahrhunderts. Malerei auf Holz, 230 x 167 cm. Musée du Louvre, Paris.

Die Madonna als Symbol der HL Kirche

Maria steht im Zentrum der Ende des 15. Jahrhunderts entstandenen Komposition des Meisters von St. Ildefonso. Das Bild mit dem Titel Der Hl. Ildefonso empfängt das Messgewand zeigt die Madonna in der Rolle der Heiligen Christlichen Kirche, die innerhalb der patriarchalischen Hierarchie Würden verleiht. Sie trägt eine prachtvolle Krone und ist als Königin des Himmels gewandet. Auf dieser Darstellung legt die Madonna dem betagten Heiligen das Messgewand (das Priesterkleid, das bei der Messe getragen wird) an. Auf der gegenüberliegenden Seite sind junge männliche Engel Unserer Lieben Frau bei der Ausübung ihrer Pflichten behilflich, zwei andere männliche Engel stehen zu beiden Seiten eines gotischen Tempels, der ebenfalls die christliche Kirche und die Mutter Kirche symbolisiert.

Jean Hey, Triptychon der Jungfrau in der Glorie (Mittelteil), 1498-1499. Öl auf Eichenholz, 159 x 133 cm. Kathedrale von Moulins, Frankreich.

Die Madonna und die apokalyptische Vision

In seiner Interpretation Triptychon der Jungfrau in der Glorie verbindet der Künstler Jean Hey, der sein Werk zwischen 1498 und 1499 vollendete, eine Reihe von Symbolen zur Glorifizierung Marias. Sie wird in himmlischen Höhen thronend mit dem Kind auf dem Schoß dargestellt. Zwei Engel androgyner Erscheinung halten eine mit Juwelen besetzte Krone über ihr Haupt. Zu ihren Füßen schweben weitere Engel. Ein Strahlenkranz umgibt ihren Körper und die Falten ihres langen Gewandes bedecken den zunehmenden Mond.

Sie stellt die himmlische Fürsprecherin und das göttliche Weib dar. Maria ist hier als mitfühlende und machtvolle Göttin der Sonne und des Mondes dargestellt, als die Große Mutter in all ihrer Glorie.

Dosso Dossi, Madonna in der Glorie mit dem Hl. Johannes dem Täufer und dem Hl. Johannes dem Evangelisten, 1489-1542. Öl auf Holz auf Leinwand übertragen, 153 x 114 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Die Konsekration

Lavinia Fontana brachte einen anderen göttlichen Aspekt der Madonna zum Ausdruck, als sie 1599 Die Weihe der Jungfrau malte. Die Madonna mit dem Kind auf den Armen thront auf einer Wolke hoch im Himmel. Wie eine wirkliche Sonnenkönigin erscheint sie inmitten eines von ihr ausgehenden Strahlenkranzes. Engel umgeben sie, während sie auf zwei weibliche Heilige hinunterblickt, die die Symbole ihres Sohnes tragen: das Kreuz und das Lamm. Weiter unten auf der Erde werden zwei Knaben und zwei Mädchen der Gesegneten Jungfrau geweiht, dem Inbegriff der Vollkommenheit und der Tugend.

Die Madonna erscheint ihrem Volk

Maria wurde in der Renaissance als gütigste und mitfühlendste Form des Göttlichen gesehen. Eine Fülle von Wundern und wundertätigen Erscheinungen wurden ihr zugeschrieben (und werden es bis heute). Dosso Dossi malte die Jungfrau im dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Das Werk trägt den Titel Madonna in der Glorie mit dem Hl. Johannes dem Täufer und dem Hl. Johannes dem Evangelisten. Die Madonna und ihr Kind erscheinen in den Wolken über den stehenden Gestalten der Heiligen. Ein Heiligenschein aus Sonnenstrahlen umgibt ihr Haupt und ein Strahlenkranz geht von ihrem Körper aus: Unten hält der Hl. Johannes der Evangelist einen Kelch, aus dem eine Schlange den Kopf zur Himmelskönigin hebt. Der Kelch, in der Christenheit der mystische Heilige Gral, ist ebenso wie die Schlange auch das universale Symbol für das göttliche weibliche Prinzip, das in Verbindung mit weiblichen Gottheiten auftritt, besonders zusammen mit der Leben spendenden und heilenden Macht der Erdgöttin.[26] Bestimmte männliche Gottheiten wie Äskulap der heilende Gott der griechischen Antike wurden auch mit der Schlange assoziiert.

Das Thema der Madonna des Schnees mit den Heiligen Lucia und Maria Magdalena bezieht sich auf ein von der Gesegneten Jungfrau vollbrachtes Wunder. Das Bild wurde von Guido Reni um 1622 bis 1623 für die Kirche Santa Maria di Corte Orlandini geschaffen und befindet sich heute in den Uffizien. Die obere Mitte des Bildes nimmt eine strahlende Madonna mit ihrem Kind ein, von anbetenden Engeln umgeben, deren Aussehen androgyn oder männlich ist. Der jüngste Engel, der unter ihren Füßen schwebt, lässt Schnee auf die Landschaft unten auf der Erde fallen. Die Jungfrau trägt den blauen Mantel der Himmelsmutter über ihrem roten Kleid (die Farbe Rot wurde mit vielen Erdgöttinnen in Verbindung gebracht und verweist auf ihre Fruchtbarkeit spendende Macht). Sie und ihr Kind sind schön und zeigen eine starke Ähnlichkeit, Ausdruck des traditionellen Glaubens, dass es eine solche physische Ähnlichkeit zwischen Mutter und Kind sonst nirgends geben könne, weil aufgrund des Wunders der jungfräulichen Geburt Marias der Sohn ausschließlich ihrem Fleisch entsprungen sei. Ein golden-orangefarbener Glanz umgibt Maria, verstärkt durch den Reigen himmlischer Cherubim. Die beiden weiblichen Heiligen sind jung und idealisiert und bilden eine spirituelle weibliche Dreieinigkeit mit der Madonna an der Spitze des Bildes.

Annibale Carracci malte Die Jungfrau erscheint dem Hl. Lukas und der Hl. Katharina 1592. Das Bild hat eine weitere Erscheinung der Jungfrau zum Thema, diesmal erschien sie den beiden genannten Heiligen. Die in Rot und Dunkelblau gekleidete Gesegnete Jungfrau hält ihren Sohn in den Armen und schwebt in den Wolken über einer Landschaft, in der die erstaunten Heiligen vor ihr kniend zu sehen sind. Hinter ihr befinden sich die vier Evangelisten. Diese Allegorie erinnert die Gläubigen daran, dass die Jungfrau auch die Kirche verkörpert.

Laviana Fontana, Die Weihe der Jungfrau, 1599. Öl auf Leinwand, 280 x 186 cm. Musée des Beaux-Arts, Marseille.

Guido Reni, Madonna des Schnees mit den Heiligen Lucia und Maria Magdalena, 1622-1623. Öl auf Leinwand, 250 x 176 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Annibale Carracci, Die Jungfrau erscheint dem Hl. Lukas und der Hl. Katharina, 1592. Öl auf Leinwand, 401 x 226 cm. Musée du Louvre, Paris.

Die Madonna des Volkes von Federico Barocci zeigt die Jungfrau als liebende Beschützerin ihrer Anhänger und als ihre Fürsprecherin. Es wurde 1579 für die Kapelle der Laienbrüderschaft von Santa Maria della Misericordia geschaffen. In dem Bestreben eine noch stärkere Kontrolle über die Frauen auszuüben, versuchten die Päpste und die kirchlichen Autoritäten den Marienkult in jenem Jahrhundert einzudämmen, daher ist die Madonna hier deutlich als Fürsprecherin der Frauen zu verstehen, ihre Haltung vermittelt die Botschaft, dass sie mit ihrem Sohn für Gnade gegenüber dem Volk eintritt. Die Taube des Heiligen Geistes nimmt den Platz in ihrer Nähe ein, was auf die enge Verbindung zwischen dem Heiligen Geist und Maria oder die spirituelle Vermischung beider hinweist.

Maria Magdalena ist wahrscheinlich die umstrittenste von den Frauen dieses Namens, die in verschiedenen Evangelien und apokryphen Schriften auftauchen. Sie ist auch Gegenstand einer Legende, die von ihrer Himmelfahrt erzählt. Silvestro dei Gherarducci malte die Heilige um 1365. Das Bild mit dem Titel Himmelfahrt der Jungfrau gehört heute zur Vatikanischen Sammlung. Magdalena steigt mit Hilfe von sechs Engeln in den Himmel auf.

Von einer Mandorla umgeben, mit einem Nonnengewand bekleidet. Ein großer Nimbus aus Sonnenstrahlen umgibt ihr Haupt. Jahrhunderte später wurde sie als Hure beschrieben, als eine gefallene Frau, der Jesus ihre Sünden vergab und sie aufforderte, sich ihm als seine Jüngerin anzuschließen.[27] In späterer Zeit wurde der Gegensatz zu Maria von den kirchlichen Autoritäten folgendermaßen interpretiert: die Jungfräulichkeit Marias gegenüber einer sexuellen und somit schlechten Frau, der Maria Magdalena.

Federico Barocci, Die Madonna des Volkes, 1579. Öl auf Leinwand, 359 x 252 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Silvestro dei Gherarducci, Die Himmelfahrt der Jungfrau, um 1365. Tempera auf Holz, 41 x 27 cm. Pinacoteca Vaticana, Vatikanstadt.

Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, um 1484. Tempera auf Leinwand, 172,5 x 278,5 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Maria als die Göttin Venus

Die Wiederentdeckung heidnischen Glaubens und die möglichen Verbindungen zwischen christlicher und griechisch-römischer Symbolik übten auf die Künstler der Renaissance eine starke Anziehungskraft aus. Sandro Botticelli malte Die Geburt der Venus um 1484. Dieses Werk verherrlicht Venus (die alte römische Version der griechischen Aphrodite), sie ist nackt dargestellt. Die dem weiblichen Schönheitsideal der Renaissance, also auch dem klassischen Ideal entsprechende Darstellung der Göttin weist starke Ähnlichkeit mit der Maria der Madonna del Magnificat auf. Die Muschel, Symbol sowohl für Maria wie auch für die Göttin Aphrodite, hat in der Komposition eine herausragende Bedeutung: Venus/Maria sind dargestellt, wie sie der Muschel entsteigen oder in ihrem Innern stehend. Die Botschaft der allumfassenden Liebe der Göttin/Maria schließt alles mit ein: Sie ist die Quelle aller Aspekte der Liebe, der himmlischen wie der irdischen.

Unsere Liebe Frau von Guadalupe als die Göttin Coatlicue/Tonantzin

In Amerika entstanden nach der Eroberung der autochthonen meso-amerikanischen und präkolumbianischen Kulturen durch die Conquistadores viele Bilder Marias.

Das bekannteste von ihnen ist vielleicht Unsere Liebe Frau von Guadalupe, ein Gemälde, das der Legende zufolge die Heilige Jungfrau selbst einem Indio namens Diego gab mit dem Auftrag, vom Bischof zu fordern, an einer andern Stelle eine neue Kirche zu errichten.

Nachdem die Kirche, die sie gefordert hatte, an der Stelle eines früheren Tempels zu Ehren der aztekischen Erdgöttin Tonantzin oder Coatlicue gebaut worden, bewirkte diese Madonna eine Verschmelzung der alten und neuen Kulturen zu einer Mischform aus beiden. Auch als Folge der Erscheinungen der Madonna[28] bestanden die beiden Kulturen von da an auf dem Gebiet von Mexiko in harmonischer Verbindung nebeneinander.

Das Ereignis fand 1531 statt und zwei neue Kirchen wurden seither gebaut; die spätere Kirche beherbergt das wundertätige Bild der Madonna des Volkes, der Schutzpatronin Mexikos. Die Weihestätte zieht Pilger und Touristen gleichermaßen an und gilt als eine der wundertätigsten Orte, die der Schwarzen Madonna gewidmet sind. Die Verehrung der Lieben Frau von Guadalupe hat sich heute auf mehrere Staaten im Südwesten der USA ausgedehnt.

Göttin Coatlicue, 1250-1521. Höhe: 350 cm, Breite: 130 cm, Tiefe: 130 cm. Museo Nacional de Antropologia e Historia de la Ciudad de México, Mexiko-Stadt.

Unsere Liebe Frau von Guadalupe, 1531. Gemälde. La Basílica Nueva de Nuestra Señora de Guadalupe, Mexiko-Stadt.

Sandro Botticelli, Die Mutter und das Kind, 1480-1481. Tempera auf Tafel, 58 x 39,6 cm. Museo Poldi Pezzoli, Mailand.

Jan Provost, Eine christliche Allegorie, frühes 16. Jahrhundert. Öl auf Holz, 50 x 40 cm. Musée du Louvre, Paris.

Eine Allegorie der göttlichen Madonna

Eine christliche Allegorie von Jan Provost, vermutlich im frühen 16. Jahrhundert geschaffen, zeigt Maria und Jesus als die wichtigsten Elemente der Christlichen Lehre – ein göttliches Paar und ein zweifaches Bild des christlichen Gottes. Jesus schwingt ein Schwert, während über ihm ein Lamm zu sehen ist, eine Allegorie auf seinen persönlichen Opfertod für die Menschheit. Maria, als Himmelskönigin dargestellt, trägt eine Krone auf dem Kopf und versinnbildlicht auf diese Weise auch die Kirche. In ihrer rechten Hand hält sie eine Lilie, Symbol ihrer Vollkommenheit, während ihre linke Hand eine geöffnete Schatulle hält, aus der eine Taube entweicht, die den Heiligen Geist verkörpert. Auf diesem Bild stellen Maria und der Heilige Geist zwei verschiedene Aspekte eines jeden von beiden dar. Eine große Erdkugel befindet sich zwischen Maria und Jesus, über ihnen ist das Auge Gottes zu sehen. Weibliche und männliche Bilder Gottes halten sich die Waage.

Bartolomé Esteban Murillo, Mater Dolorosa. Museo Nacional del Prado, Madrid.