Umbrien

Das Wesen der umbrischen Kunst lag in ihrem ausschließenden Charakter, denn Ausflüge in die säkulare Welt und darüber hinaus in die Welt der antiken Klassik waren ihren Schülern aufgrund religiöser Skrupel und mangelnden Wissens verboten. In Perugia erhielt Raffael seine ersten Einführungen und wurde mit den Methoden der Umbrischen Schule vertraut gemacht. Perugia war jedoch nicht die einzige Stadt in Umbrien, die eine wichtige Rolle in Raffaels frühen Jahren spielte, da ihn auch Città di Castello herzlich empfing.

Umbrien war Raffael eine zweite Heimat geworden. Während er sich den Einflüssen der Schönheit der Region und den mystischen Neigungen seiner Bewohner hingab, entwi-ckelten auch die Umbrier eine enge Beziehung zu Raffael und dank ihrer großherzigen und frommen Gemütsart konnte Raffael einige seiner meist bewunderten Gemälde schaffen. Diese Ermutigungen waren notwendig, um ihn vor der Niedergeschlagenheit zu bewahren, die ihn ergriffen hätte, nachdem sein Meister Perugino Umbrien verlassen hatte, und Raffael blieb zum Zeichen seiner Dankbarkeit in Umbrien, bis er 1508 nach Rom ging.

Wenn er noch immer den für die Umbrische Schule charakteristischen Typen, besonders in Bezug auf die Madonnen, anhing, so nur, weil ihn Umbrien selbst mit vielen dieser zarten und gedankenvollen Antlitze, die sich durch tiefe religiöse Zufriedenheit statt bloßer Schönheit auszeichneten, versorgte. Für einen Spiritualisten wie ihn war das Malen der Seele eine höhere Aufgabe als das Malen des Körpers. Man findet bereits hier einen großen Anteil von Landschaftsmalerei in den Gemälden Raffaels. So wurde die Bergkette im Hintergrund der Madonna Conestabile (Bd. 1, S. 35) nach der Natur in der Nähe Perugias gemalt. Vielleicht ließ sich Raffael vom Trasimenischen See inspirieren, denn auf dem Bild lässt sich ein breites Gewässer erkennen, auf dem Fischer in ihrem Boot rudern. In seinen ersten Versuchen auf dem Feld der Landschaftsmalerei bemühte sich Raffael wie Perugino, die Genauigkeit und die Trockenheit der umbrischen Maler durch einfache Konturen und weite Entwürfe zu ersetzen.

Trinitätsbanner: Die heilige Dreieinigkeit mit dem heiligen Sebastian und dem heiligen Rochus, um 1499. Leinwand, 166 x 94 cm. Pinacoteca Comunale, Città di Castello

Dieses Banner existiert noch immer, allerdings in einem ruinösen Zustand. Es wurde aus der Trinitätskirche, für die es gemalt wurde, entfernt und in die Städtische Pinakothek von Città di Castello gebracht. Raffael sah es nicht als unter seiner Würde an, diesen Befehl zu akzeptieren, wissend, dass die berühmtesten Maler froh waren, diese Banner, die einen Ehrenplatz während der Prozessionen einnahmen und im Allgemeinen so gut bezahlt waren wie Ölgemälde, zu malen. Die Umbrische Schule hatte sozusagen ein Monopol auf sie, und Perugino gab seinem Schüler anhand von vierzehn kleinen Standarten für die Panicale-Kirche, in der sie für die Corpus Domini-Prozession verwendet wurden, ein Beispiel.

Auf der einen Seite des Banners hat Raffael Gottvater auf einer Wolke der Herrlichkeit sitzend und ein Kruzifix in beiden Händen haltend dargestellt, während über ihm der Heilige Geist schwebt. Im unteren Teil sieht man links den heiligen Sebastian und rechts den heiligen Rochus, beide kniend und den Blick auf Gott gerichtet. Auf der anderen Seite wird Gott gezeigt, wie er auf den schlafenden Adam zugeht, während darüber zwei Engelsfiguren zu sehen sind. Passavant, von dem diese Details stammen, fügt hinzu, dass die Gemälde auf leicht behandelten Leinwänden gemalt und mit einem blauen, mit goldenem Flechtwerk und Palmenmuster verzierten Rand ausgestattet worden sind; der Buchstabe R auf dem Rand des von Gott getragenen Gewands ist die Signatur, und das gesamte Werk, obwohl im Stile Peruginos entworfen, hat doch besonders in Bezug auf die Landschaft mehr Weite und Anmut.

Engelsbüste, Detail aus der Pala vom seligen Nikolaus von Tolentino (Fragment des Baronci-Altarbildes), 1500-1501. Öl auf Holz, 31 x 27 cm. Pinacoteca Tosio Martinengo, Brescia

Die für die Kirche St. Augustinus angefertigte Pala vom seligen Nikolaus von Tolentino blieb bis 1789 in Città di Castello, als sie für die Summe von 1000 römischen Talern an Papst Pius VI. verkauft wurde. Das Bild war auf Tafel gemalt worden und aufgrund seiner Größe schwer zu transportieren. Da es nur im oberen Teil beschädigt wurde, ließ der Papst es in zwei Teile sägen, um aus dem unteren Teil ein eigenständiges Gemälde zu machen, während die oberen Figuren zu jeweils eigenen Bildern wurden. Diese Fragmente konnten bis zum Einmarsch der französischen Armee in Rom im Jahre 1798 im Vatikan betrachtet werden, als sie zweifellos in einer Auktion gemeinsam mit Raffaels Wandteppichen und vielen anderen, seitdem verschollenen Gegenständen verkauft wurden.

Dank der Beschreibungen Lanzis und Pungileonis, und auch dank zweier in Oxford beziehungsweise Lille aufbewahrter Zeichnungen ist es möglich, eine einigermaßen genaue Beschreibung des Gemäldes vorzulegen. Laut Lanzi stellte Raffael den heiligen Nikolaus, während dieser von der Jungfrau und dem heiligen Augustinus, die halb hinter einer Wolke versteckt sind, gekrönt wurde, dar. Unterhalb der Füße des heiligen Augustinus befindet sich die niedergeworfene Figur eines Dämons und zur Rechten und Linken befinden sich zwei Engel, die Inschriften zur Ehre des Heiligen halten. Im oberen Teil sieht man die majestätische Gestalt des von einer Engelsglorie umgebenen Allmächtigen. Eine Art Tempel mit im Stile Mantegnas ausgestalteten Pilastern bildet den Rahmen für die Komposition; die Draperien entsprechen der Mode der Zeit. In diesem Gemälde stellte Raffael den Teufel nicht in der gewohnten Abscheulichkeit dar, sondern verlieh ihm die Erscheinung einer schwarzen Gestalt.

Engel mit Spruchband, Detail aus der Pala vom seligen Nikolaus von Tolentino (Fragment des Baronci-Altarbildes), 1500-1501. Öl auf Holz, 58 x 36 cm. Musée du Louvre, Paris

Die Skizze aus Lille unterscheidet sich nur leicht von Lanzis Beschreibungen. Der in der Mitte platzierte heilige Nikolaus, der ein Buch in der einen und ein Kreuz in der anderen Hand hält, ist nackt. Darüber sieht man das Halbporträt eines jungen Mannes in eng anliegender Kleidung der Zeit – es handelt sich um eine Studie für die Figur des Allmächtigen –, während die beiden Figuren an der Seite die Jungfrau und den heiligen Augustinus darstellen; beide als Halbporträt ausgeführt. Das Ganze wird von zwei Säulen, die ein Bogen überragt, umrahmt.

Die Pala vom seligen Nikolaus von Tolentino entspricht nicht der traditionellen Ansicht, und andere Maler hätten, wie Lanzi bemerkt, ihre Figuren um den Thron der Jungfrau gruppiert und hätten sie in eine der im 15. Jahrhundert so beliebten ‚frommen Unterhaltungen‘ eingebettet. Raffael dagegen richtet den Fokus voll und ganz auf den Heiligen, zu dessen Ehre das Bild gemalt wurde; seine Komposition ist in Wahrheit eine Apotheose, die sowohl den Sieg des heiligen Nikolaus über den Dämon, der ausgestreckt am Boden liegt, als auch seinen himmlischen Triumph feiert. Die Kraft dieser Konzeption sollte mit den weichen Konturen und dem allgemeinen Bedürfnis nach Charakter verglichen werden, dem Perugino und seine Schüler so zugeneigt waren. Raffael gibt sich nicht damit zufrieden, mit seinem ungewöhnlichen Geschick einfach ein altes Programm auszuführen; er hebt sich von seinen Vorgänger durch seine Erfindungen wie durch seinen Stil ab.

Die Kreuzigung Christi mit der Jungfrau Maria, Heiligen und Engeln oder Die Mond-Kreuzigung, um 1502-1503. Öl auf Pappelholz, 283,3 x 167,3 cm. National Gallery, London

Die Mond-Kreuzigung, die von der Gavari-Kapelle der Dominikanerkirche über Umwege ihren Weg in die National Gallery in London gefunden hat, zählt zu den wichtigsten Werken Raffaels. Das Motiv entsprach zugegebenermaßen nicht dem Genius des Künstlers, dennoch ist es verständlich, dass er sich bereits entwickelter Ideen bediente. In dem Maße, wie er bei der Darstellung von Würde und Schönheit seinen Geist und seine Inspiration zeigt, zeugen seine Werke von der Unentschlossenheit bei der Darstellung von Leidenschaft und Trauer, und zwar zu jedem Zeitpunkt seiner jungen Schaffensjahre, sodass man der Vorstellung verfällt, dass es für Leid und Übel in einer solch himmlischen Seele keinen Platz gab.

Während Michelangelo uns durch den Anblick moralischer und körperlicher Qualen in Erstaunen und Schrecken versetzt, interpretiert Raffael ruhige und pure Gefühle und scheitert immer dann, wenn er versucht, sein Talent zu erzwingen; denn selbst die Grablegung zeugt trotz ihrer zahlreichen Schönheiten von der zu großen Anstrengung. Es folgt, dass das vorherrschende Charakteristikum in der Mond-Kreuzigung das sanfter Resignation ist, ohne das rührende Leiden, das Giotto, Mantegna und Signorelli in ihre Kompositionen eingebracht haben.

Krönung Mariä (Pala Oddi), 1502-1504. Öl und Tempera auf Holz, auf Leinwand übertragen, 272 x 165 cm. Pinacoteca Vaticana, Musei Vaticani, Vatikanstadt

Kurz nach der Abreise seines Meisters (Perugino) beauftragte eine Dame aus einer der wohlhabendsten Familien Perugias, Maddalena degli Oddi, Raffael, die Krönung Mariä für die Kirche des heiligen Franziskus zu malen. Da die Oddi nach dem Sturz Cesare Borgias im August 1503 verbannt wurden, muss dieses Werk im Frühjahr desselben Jahres beendet worden sein. Das Bild setzt sich aus zwei Partien zusammen. Die eine zeigt die um das Grab der Jungfrau versammelten Apostel, genau wie in Darstellungen der Mariä Himmelfahrt, die andere zeigt den auf Wolken sitzenden Christus inmitten einer Engelsglorie, der eine Krone auf das Haupt seiner Mutter setzt. Einige der Apostel blicken nach oben, wo der Betrachter Christus und seine Mutter sieht. Diese Haltung reicht aus, um eine Verbindung zwischen den beiden Szenen herzustellen und somit dem Werk den Eindruck von Einheit zu verleihen.

Der von Raffael ausgewählte Moment zeigt die Apostel, nachem sie das Grab der Jungfrau erreicht haben. Einige von ihnen sind erstaunt, das Grab leer vorzufinden und schauen in den Sarkophag, in dem Lilien und Rosen den Platz des Körpers eingenommen haben. Während einige, darunter auch Paulus, von Staunen übermannt werden, blicken andere für eine Erklärung des Mysteriums gen Himmel und ihre Augen leuchten vor Freude bei dem freudigen Spektakel, das sich ihnen bietet.

Unterhalb der Krönung Mariä befand sich früher eine Predella, auf der in viel kleineren Dimensionen Szenen aus dem Leben Christi und seiner Mutter nachgezeichnet wurden, die das Hauptgemälde ergänzten. Diese Predella befindet sich, wenn auch abgetrennt vom Hauptteil des Werkes, im Vatikan. Raffaels Predella stellt in drei, von roten Arabesken auf schwarzem Untergrund untergliederten Bereichen Die Verkündigung, Die Anbetung der Könige und Die Darbringung im Tempel dar.

Darbringung im Tempel (Predellatafel der Pala Oddi), 1502-1504. Öl und Tempera auf Holz, auf Leinwand übertragen, 39 x 190 cm. Pinacoteca Vaticana, Musei Vatican, Vatikanstadt

Hier wie auch in der Verkündigung wählte Raffael einen gleichzeitig einfachen, aber beeindruckenden architektonischen Rahmen. In der Bildmitte steht der gealterte Simeon, der die einzige Person mit einem Heiligenschein ist und von Maria das neugeborene Jesuskind mit einer anmutigen und bescheidenen Geste entgegennimmt. Doch das Kind fürchtet sich vor dem Fremden und dreht sich in Richtung seiner Mutter und streckt die Arme aus, als würde es um ihre Hilfe flehen. Hier zeigt sich die Natürlichkeit, die Raffaels Beobachtungsgabe bezeugt. Josef von Nazaret vervollständigt die Gruppe, deren Anordnung perfekt ist. Am linken und rechten Rand des Bildes befinden sich zum einen die Männer und zum anderen die Frauen, von denen eine die traditionellen Turteltauben als Geschenk trägt. Die Gewänder entsprechen denen des 15. Jahrhunderts: rote, schwarze oder grüne Schuhe, fantasiereich geformte Filzhüte und lange Mäntel.

Die Verkündigung (Predellatafel der Pala Oddi), 1502-1504. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 39 x 190 cm. Pinacoteca Vaticana, Musei Vatican, Vatikanstadt

Die Szene, in der Maria von dem himmlischen Boten die Gewissheit ihrer zukünftigen Größe erhält, findet unter einer erhabenen und eleganten, von korinthischen Säulen getragenen Portikus statt. Es weht ein ungehinderter Luftzug durch dieses wunderbare und harmonische Stück Architektur, das von der Renaissance erzählt, und die ruhige Landschaft im Hintergrund fügt sich in die Heiterkeit und Geräumigkeit der Komposition ein. Ein Rahmen dieser Art war dazu gedacht, die Figuren hervorzuheben, sodass Raffael sie nicht vervielfältigen musste, um die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Rechts sitzt die Jungfrau mit einem Buch auf ihren Knien, leicht den Kopf beugend und voller Offenheit und Ergebung; von links bewegt sich ein Engel, das Gesicht voller Freude, zügig auf sie zu; und im Hintergrund steigt Gottvater empor und bestätigt die Verheißung seines Boten; dies sind die einzigen Akteure dieser Szene, zugleich so vollendet und harmonisch.

Die Anbetung der Könige (Predellatafel der Pala Oddi), 1502-1504. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 39 x 190 cm. Pinacoteca Vaticana, Musei Vatican, Vatikanstadt

In einem solchen Thema steckte viel, das einen jungen Maler zugleich reizte und einschüchterte, aber Raffael ließ sich von der letzteren Überlegung nicht zurückhalten und schritt entschlossenen Mutes zur Tat. Für ein Gemälde aus der Umbrischen Schule, das diesem in Lebendigkeit, Bewegung, Anmut und Kraft gleichkommt, muss man bis zur 1423 von Palla Strozzi gemalten Anbetung der Könige zurückgehen, das bei seiner Erscheinung die wärmsten Bewunderungen unter den Künstlern Florenz‘ hervorrief. Diese beiden innerhalb eines Zeitraums von achtzig Jahren gemalten Bilder zeichnen sich durch das gleiche Feuer und überschwängliche Leben der männlichen Figuren, wie die gleiche exquisite Anmut der Figur der Jungfrau aus; dazu die gleiche Lebhaftigkeit, die allerdings im Falle Raffaels, der die Anzahl der Personen von siebzig auf fünfzehn reduzierte und mit einfacheren Mitteln ähnlich ergreifende Effekte erzielte, konzentrierter erscheint. Rechts, neben einer verfallenen Hütte, sitzt die Jungfrau mit ihrem Sohn auf dem Schoß, dem einer der Könige kostbare Geschenke darbietet. Hier übertrifft Gentile seinen jungen Rivalen. In seinem Bild küsst der älteste der Weisen, ausgestreckt vor dem Jesuskind, demütig seine Füße, während das Kind feierlich seine Hand auf den Kopf des Anbeters legt. Diese Szene, die durch den Reichtum der Gewänder erhöht wird, hat eine Feierlichkeit an sich, an der es Raffaels Werk mangelt, und wirkt wie ein finales Echo der Herrlichkeit des Mittelalters. Die Jungfrau strahlt vor Freude, während die Haltung und das Gesicht des Kindes sowohl Neugierde als auch Überraschung ausdrücken. Hinter der Hauptgruppe platzierte Raffael, einer seiner kühnen Eingebungen folgend, drei Schäfer, die durch die Einfachheit ihrer Kleidung und die Bescheidenheit ihrer Gabe (ein Lamm) in Kontrast zur Herrlichkeit der drei Könige stehen. Bis dahin waren die beiden Szenen – die Anbetung der Könige und die der Hirten – immer separat dargestellt worden. Indem er sie miteinander verband, zeigte der Künstler, wie sorgfältig er die Bedeutung des Evangeliums gemeistert hatte und wie gut er gelernt hatte, den menschlichen und berührenden Teil seiner Seiten hervorzubringen.

Es wird im Folgenden noch häufiger die Gelegenheit geben, auf Raffaels Bibelwissen zu verweisen, das selbst in seinen jungen Jahren das von den anderen Künstlern dieser Zeit an den Tag gelegte überragte. Der übrige Teil der Komposition knüpft, wenn auch in einer anderen Stimmung gehalten, an deren Anfang an, da die zwei anderen Könige und ihr aus schneidigen Reitern zusammengestelltes Gefolge in gedankenvoller Bewunderung das sich vor ihren Augen abspielende Ereignis bestaunen, während die Szene von ein paar prächtig gemalten Pferden komplettiert wird. Die linke Gruppe wurde mit perfekter Kunstfertigkeit zusammengesetzt, und Raffael überflügelte seinen Meister, indem er eine Linienführung, eine Ausgewogenheit der Massen sowie eine Freiheit und Korrektheit der Bewegung anwandte, zu der Perugino nie in der Lage war.

Der heilige Michael besiegt den Drachen, 1503-1505. Öl auf Holz, 29 x 25 cm. Musée du Louvre, Paris

Das Gemälde des heiligen Michaels ist von anderer Art, denn während der heilige Georg mitten im Kampf dargestellt ist, ist der Triumph des Erzengels unbestritten. Er braucht kein stolzes Schlachtross, das alleine ausgereicht hätte, um das erste Bild zu verewigen, und seine Rüstung scheint ihm mehr zur Zierde als zur Verteidigung gegeben worden zu sein. Er hätte den Schild, der seinen linken Arm schützt, mit rotem Kreuz auf weißem Grund, entbehren können, denn wie der Bote der göttlichen Gerechtigkeit fliegt er vom Himmel herab und setzt seinen Fuß auf den Dämon, der vergeblich gegen ihn ankämpft. Er muss nur das Schwert, das er in der rechten Hand hält, senken, um den ungleichen Kampf zu beenden. Seine Schönheit, sein ruhiges Gebaren und das Licht, das ihn umgibt, zeigen, dass sein Sieg ein rein moralischer ist, und um den übernatürlichen Charakter der Szene hervorzuheben, lässt Raffael sie mitten in der Hölle stattfinden. Eine scheußliche Eule, schreckliche Drachen, Verdammte, die von Schlangen verschlungen oder von der Last bleierner Umhänge zu Boden gedrückt werden, bilden das Gefolge Satans, und eine Stadt in Flammen wirft ihr unheimliches Licht auf den Hintergrund.

Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen, um 1503-1505. Öl auf Holz, 30 x 26 cm. Musée du Louvre, Paris

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass er in seinen für Guidobaldo gemalten Bildern des heiligen Michaels und des heiligen Georgs die Niederlage Cesares und den Triumph der Montefeltros zu versinnbildlichen beabsichtigte. Diese freien und gewagten Allegorien passten perfekt zu seinem Genie. Die Kämpfe und Leistungen seiner Förderer in offiziellen Farben auszudrücken, wäre, seiner Ansicht nach, seiner nicht würdig gewesen und er sah es als notwendig an, dass die zeitgenössischen Kämpfe und Leidenschaften in einer allegorischen Form gezeigt werden sollten, die von so langer Dauer sein sollte wie die Tugend des Patriotismus selbst.

Dieser heilige Georg strotzt vor Stolz und Lebensmut: Raffael, der Vorschrift des Dichters folgend, transportiert uns geradewegs in das Zentrum des Geschehens – in medias res. In glänzender Rüstung und auf einem prächtigen Schimmel mit schwungvollem Hals hat der Heilige den Drachen angegriffen und mitten in die Brust getroffen. Aber der Schaft der Lanze ist abgebrochen, die Stücke liegen verstreut am Boden und das Monster stürzt sich, vor Schmerz und Wut aufheulend, auf seinen Angreifer, dessen Pferd davongaloppiert. Der erfahrene Reiter zieht die Zügel des Pferdes straff und macht sich Schwert schwingend bereit, dem Drachen einen finalen Schlag zu verpassen. Diesen Moment hat der Künstler dargestellt. Das Pferd erzittert, der Drache heult auf und windet sich; die Prinzessin flüchtet angsterfüllt; die ganze Szene steckt voller Leben und Leidenschaft.

Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen ist ein Meisterwerk des Kolorits und des Bildaufbaus. Raffael zeigt dem Betrachter durch seine vernünftige Wahl an Tönen und seinen kraftvollen und deutlichen Pinselstrich, dass er gleichermaßen als Maler und als Zeichner in seinem Element war. Nichts ist feiner und harmonischer als dieses Bild, dessen Details allesamt komplett ausgearbeitet sind. Der rote Sattel bringt das Weiß des Pferdes zur Geltung, das wiederum in Kontrast zur stählernen Rüstung des Heiligen steht. Ferner sind es die roten und weißen Fragmente der Lanze, die die dunklen Töne der Landschaft aufhellen und helfen, der gesamten Szene eine wunderbare Menge an Bewegung und Stimmung zu verleihen.

Allegorie oder Der Traum des jungen Ritters, um 1504. Öl auf Pappelholz, 17,1 x 17,3 cm. National Gallery, London

Zum ersten Mal findet man bei Raffael ein liegendes Motiv, das er mit der gleichen Anmut und Erhöhung behandelt wie die bedeutendsten Meister. Ohne Zweifel hätte er die Kunstwelt mit vielen solchen Bildern bereichert, wenn ihn die Umstände nicht gezwungen hätten, in den unmittelbareren Dienst der Religion zurückzukehren.

Für sein Motiv wählte er das an Dichtung so reiche Mittelalter, das Boiardo und Pulci wieder zum Leben erweckt hatten, und beschwörte das Rittertum, das mit seinem selbstlosen Streben und seinen galanten Handlungen des Vergleichs mit den Heldentaten der Antike würdig war. Die Form eines Traums oder einer Vision verstärkt, falls überhaupt möglich, die Feinheit und Tiefe der Konzeption Raffaels.

Erschöpft von den Anstrengungen einer langen Reise, schläft ein Ritter, der sowohl reich an Begabungen als auch an Illusionen der Jugend ist, unter einem Lorbeerbaum. Wie ein echter Krieger hat er seine Rüstung nicht abgelegt und benutzt sein Schild als Kissen. Während er schläft, erscheinen ihm zwei Frauen, die beide wunderschön sind, sich aber in ihrer Mimik unterscheiden. Die eine wirkt, trotz eines Ausdrucks von Anmut, nachdenklich und ernst, und hält ihm ein Schwert und ein Buch entgegen, als wollte sie ihn zu kriegsähnlichen Handlungen und zum Studium anspornen. Ihre gelbe Tunika und ihr langes, lilafarbenes Gewand geben ihrer Erscheinung zusätzliche Vornehmheit. Die andere, ihre Gegenspielerin, trägt ein koketteres Gewand. Der rote Farbton ihrer Tunika bringt den Glanz ihres blauen, rosafarben schillernden Kleides hervor; um ihren Hals trägt sie eine korallenrote Kette und ein weißer Schleier flattert an ihrem Hinterkopf, während sie in ihrer Hand eine Blume hält, das Symbol des Spiels, der Freuden und weltlicher Vergnügungen. Es ist die Wollust, zumindest so, wie sie der arglosen Vorstellungskraft Raffaels entsprang; sie ist eher das Gegenteil von Strenge als das von Reinheit und repräsentiert den Genius der Antike im Gegensatz zu dem des Christentums. Solche Gedanken müssen ihm, als er Umbrien verließ, mehr als einmal durch den Kopf gegangen sein. Nicht, dass er jemals bei der Wahl zwischen Vergnügen und Arbeit zögerte, aber vor ihm tat sich eine neue Welt auf, und innerhalb der profanen Gesellschaft, die er in Urbino und Florenz frequentierte, gab es mehrere Überzeugungen, die er gezwungen war zu opfern. Diese komplexen Kämpfe waren es, die Raffael in seinem schlafenden Ritter darstellen wollte, doch während er nur beabsichtigte, seine eigenen Gefühle zu zeigen, zeichnete er eine ewig wahre und beredte Geschichte. Das ist das Privileg eines Genies.

Die Vermählung Mariens, 1504. Öl auf Holz, 170 x 118 cm. Pinacoteca di Brera, Mailand

Die Vermählung Mariens wurde 1504 für die Kirche des heiligen Franziskus gemalt. Auf allen Bildern, die dieses Motiv zeigen, ist die Anordnung beinahe identisch; in der Bildmitte steht der Hohepriester, der die Hände der Verlobten hält, um sie zusammenzuführen, während rechts und links die Rivalen Josefs ihre Enttäuschung zeigen, indem sie den Stab brechen, der keine Blüte hervorgebracht hat, und die Begleiterinnen Marias mit einer Haltung von Zufriedenheit oder Versonnenheit zuschauen; den Hintergrund bildet ein in einer Landschaft stehender Tempel.

In Raffaels Bild liegt Aufrichtigkeit und Bescheidenheit im Ausdruck der Jungfrau, die bloße Art, wie sie dem Hohepriester ihre Hand reicht, zeigt, dass das Bild das eines geborenen Malers, eines subtilen Beobachters, eines wahren Poeten ist. Die Begleiterinnen Marias sind Schwestern der Frauen aus Florenz, mit denen Ghirlandaio den Chor von Santa Maria Novella bevölkert hat. Sie sind voller Anmut und Vornehmheit. Die gesamte Gruppe zeichnet sich durch eine für die Umbrische Schule, deren Einfluss sich in den Figuren der Rivalen Josefs zeigt und deren Gesichter ohne jegliche Ausdruckskraft sind, bis dahin ungekannte Lebendigkeit und Malerhaftigkeit aus. Das kommt daher, weil Raffael lernte, weibliche Schönheit abzubilden, lange bevor er wusste, wie man die männlichen Eigenschaften des Stolzes und der Gewalt darstellt. Er war der geborene Maler von Madonnen und Engeln.

Der Hintergrund dieses Bildes verdient besondere Beachtung, da dieser, obwohl offensichtlich Perugino entlehnt, im besten Sinne originell ist. Nur ein Mann mit dem Genie Raffaels konnte es wagen, in die Fußstapfen seines Meisters zu treten und selbstsicher die Hindernisse zu überwinden, die sich für ihn als unüberwindlich erwiesen hatten. In Raffaels Bild tritt ein polygoner Tempel, der jedem Architekten Ansehen verliehen hätte, an die Stelle von Peruginos hybridem Gebäude, und der Hintergund ist hell und offen.

Der junge Künstler, der hier viel mit seinem Landsmann Bramante gemein hat, war zu Recht stolz auf seine Arbeit und anstatt es nur in den Ecken mit seinen Initialen zu signieren, wie er es bis dahin getan hatte, erscheinen die Worte Raphael Urbinas, MDIIII auf der Tempelfassade.

Madonna auf dem Thron mit Kind und Heiligen, um 1504. Öl und Gold auf Holz, Mitteltafel: 169,5 x 168,9 cm; Lünette: 64,8 x 171,5 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York

Dies ist eines der meisterlichsten und anmutigsten Exemplare in Raffaels frühem Stil. Der Bildaufbau ist äußerst schlicht. Die Jungfrau sitzt auf einem von einem Baldachin überragten Thron und hält das göttliche Kind, das den Johannesknaben segnet, auf ihren Knien. Ermutigt von dem zärtlichen Ausdruck der Jungfrau und des Kindes, bewegt sich Johannes der Täufer mit gefalteten Händen auf sie zu, seine Haltung und seine Gesichtszüge drücken unbedarften Eifer aus. Die beiden weiblichen Heiligen zu Seiten des Throns sind vollkommene Beispiele der Anmut mit einem Hauch von Melancholie, der dem Betrachter nicht entgeht. Die männlichen Heiligen im Vordergrund zeichnen sich durch einen Umfang an Behandlung und eine Majestät aus, wie man es in Raffaels Werk bis dahin nicht gesehen hatte. Einer von ihnen, Petrus, zeigt eher einen Ausdruck von Ernst als von Güte, und man glaubt, den leidenschaftlichen, dennoch großherzigen Schüler zu erkennen, der Malchus ein Ohr abgeschnitten hat. Der andere, der große Apostel der Völker, ist in das Lesen eines Buches vertieft. Wie sein Weggefährte ist er im traditionellen Stil gemalt – mit hoher und breiter Stirn und dem langen schwarzen, allgemein Paulus zugeschriebenen Bart –, während Petrus an seinem weißen, gelockten Haar und seinem kurzen, dichten Bart erkannt werden kann. Den Hintergrund des Gemäldes bildet eine trüb umrissene Landschaft, die eine wunderbare Ruhe ausstrahlt.

Im Zwickel, der das Retabel überragt, stellt Raffael Gottvater dar, der mit der einen Hand seinen Segen erteilt und in der anderen eine Erdkugel hält. An seiner Seite schweben zwei Cherubim, während zwei Engel – einer mit auf der Brust gekreuzten Händen, der andere in einer Betstellung – mit ausgestreckten Flügeln ihren Schöpfer anbeten. Nie zuvor hatte Raffael ein Werk in solcher Perfektion im Detail und Harmonie im Ganzen angefertigt, und schaffte es von nun an, den Ausdruck des Lebens mit dem der Schönheit zu verbinden. Seine Charaktere erlangten Individualität, sie wurden zu lebendigen Wesen; es gibt eine unendliche Vielfalt in den ausgedrückten Gefühlen, von der schaurigen Majestät Petri zur undefinierbaren Verträumtheit der beiden weiblichen Heiligen.

Dreifaltigkeit mit Heiligen , 1505-1508. Fresko, Basislänge: 389 cm. Kapelle von San Severo, Perugia

Die Anfrage der Kamaldulenser aus Perugia, Raffael möge eine der Sakristeiwände der Kapelle von San Severo ausschmücken, nahm dieser freudig an. Er war jedoch sehr besorgt, sich an der Freskomalerei zu versuchen. Das ausgewählte Motiv war die Versammlung der Ordensheiligen um die geheimnisvolle Dreifaltigkeit.

Während er die vielleicht zu starke Symmetrie der Umbrischen Schule respektierte, verlieh er seinen Figuren mehr Freiheit, stattete die Gruppen mit mehr Leben aus und schuf ein Werk, das bezüglich der Anordnung vollkommen makellos war.

Die Spitze des Freskos, die in einem Spitzbogen endet, zeigte ursprünglich Gottvater, der in seiner Hand das geheimnisvolle mit Alpha und Omega betitelte Buch hielt. Diese Figur ist aber schon lange verschwunden, wie auch einer der beiden Engel, die links und rechts des Allmächtigen stehend, dargestellt wurden. Eine weiße Taube, von deren Körper Lichtstrahlen ausgehen, lässt sich auf den Kopf Christi herab, der auf den Wolken in der Bildmitte thront, und verbindet so Vater und Sohn. Letzterer streckt oberkörperfrei seine blutende Hand aus, als wolle er an sein Martyrium erinnern, während er die andere anhebt, als wolle er seinen Segen erteilen. Ein weiter Mantel bedeckt wie in Fra Bartolommeos Jüngstem Gericht seine Knie und sein Kopf ist von einem kreuzförmigen Heiligenschein umgeben. Sein Antlitz zeigt einen eigentümlich weichen und heiteren Ausdruck, während sich zu seiner Seite zwei Heilige eines sehr weiblichen Typs befinden, die ihn mit erhobenen Händen anbeten. Sechs auf Wolken sitzende und einen Halbkreis bildende Heilige besetzen den unteren Teil der Komposition: Einige diskutieren ernst miteinander, während die Anderen in Gedanken versunken sind. Rechts sieht man den heiligen Romualdus, den Märtyrer Benedikt und den Märtyrer Johannes (dessen Kopf vollständig verschwunden ist); und links den heiligen Mauritius, den heiligen Placidus und den heiligen Benedikt von Nursia.

Die Farbgebung entspricht der Ernsthaftigkeit der Komposition. Bei den Draperien herrscht Weiß vor; nur der Purpurmantel Christi, die Dalmatik in Rot und Goldbrokat des Märtyrers Benedikt und die grüne Dalmatik des heiligen Placidus heben sich von der etwas monotonen Färbung ab.