3. Die Vorläufer

Zu Recht gewann Gleyre den Eindruck, dass sein Schüler sich damit einen Ulk erlaubt hatte: Er hatte gezeigt, dass er exakt nach Vorschrift malen konnte, und bestand doch darauf, die Modelle darzustellen, „wie sie im täglichen Leben aussehen!“ Claude Monet erinnert sich an die Reaktion, die eine seiner Aktstudien bei Gleyre auslöste:

Nicht schlecht, rief er, wirklich nicht schlecht! Aber Sie bleiben zu dicht am Modell. Sie haben einen gedrungenen Mann. Er hat riesige Füße, und Sie geben sie wieder, wie sie sind. Das ist alles sehr hässlich. Denken Sie daran, junger Mann, wenn man eine Figur darstellt, muss man sich immer an die Antike halten. Die Natur, mein Freund, ist sehr schön als Studienobjekt, aber ansonsten uninteressant.

Aber gerade die Natur war es, die die künftigen Impressionisten interessierte. Schon bei ihrer ersten Begegnung wurde Renoir von Frédéric Bazille aufgeklärt: „Mit den großen klassischen Kompositionen ist’s vorbei. Das Schauspiel des täglichen Lebens ist aufregender.“

Gleyres Verachtung für die Natur brachte seine besten Schüler gegen ihn auf. Einer von ihnen erinnert sich:

Die Landschaftsmalerei war für ihn eine dekadente Kunst, und der glorreiche Rang, den sie sich bei den Zeitgenossen erkämpft hatte, eine Usurpation; die Natur taugte nur als Rahmen und Hintergrund, und mehr war sie bei ihm nie, wenn er seine Landschaften auch genau so gewissenhaft und sorgfältig malte, wie die menschlichen Gestalten, denen sie als Rahmen dienen mussten.

Immerhin konnte sich niemand beklagen, in Gleyres Atelier zu irgendetwas gezwungen zu werden. Zwar standen die Meisterwerke des Louvre – die antike Skulptur und die Gemälde von Raffael und Ingres vor allem – auf dem Programm. Praktisch lies Gleyre seinen Studierenden jedoch völlig freie Hand.

Er vermittelte ihnen unerlässliche Kenntnisse in den Techniken der Malerei, in der Beherrschung der klassischen Komposition, der Präzision der Zeichnung und der Schönheit des Schwungs – Dinge, die den Impressionisten später immer wieder abgesprochen werden sollten.

Monet, Bazille, Renoir und Sisley verließen ihren Lehrer schon 1863. Gerüchte gingen um, nach denen Gleyre sein Atelier aus Geldmangel und Krankheitsgründen schließen müsse.

Die WiegeCamille mit Monets Sohn Jean, 1867. Öl auf Leinwand, 116,2 x 88,8 cm. Sammlung Hr. und Fr. Paul Mellon, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Sainte-Adresse, 1867. Öl auf Leinwand, 57 x 80 cm. Schenkung von Catherine Gamble Curran und Familie zum 50. Geburtstag der National Gallery of Art, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Im Frühjahr 1863 schrieb Bazille seinem Vater: „Monsieur Gleyre ist ziemlich krank, anscheinend ist sein Augenlicht bedroht. Alle seine Schüler sind sehr betrübt darüber, denn er ist ein Mensch, den man nicht kennenlernen kann, ohne ihn lieb zu gewinnen.“

Aber der eigentliche Grund, warum sie ihre Lehrzeit beendeten, liegt wohl tiefer. Vermutlich hatten die künftigen Impressionisten das Gefühl, dass ihr Lehrer ihnen bereits alles gegeben hatte, was er ihnen vermitteln konnte, und es trieb sie hinaus ins wirkliche Leben.

Wenn Bazille, Monet, Sisley und Renoir das Atelier verließen, kamen sie an der Closerie des Lilas vorbei, einem Café an der Kreuzung Boulevard Montparnasse / Avenue de l’Observatoire, in dem sie sich oft in langen Diskussionen über die Zukunft der Malerei die Köpfe heiß redeten. Bazille führte seinen neuen Freund Camille Pissarro in diesen Kreis ein, der sich Les Intransigeants („die Unbeugsamen“) nannte und von einer neuen Renaissance träumte.

So resümiert Jean Renoir die Erinnerungen seines Vaters Pierre-Auguste an die Diskussionen innerhalb der Gruppe:

Corot, Manet, Courbet und die Schule von Fontainebleau arbeiteten bereits nach der Natur. Aber sie übersetzten sie und folgten damit dem Rat der Alten. Die „Intransigenten“ hofften, ihre unmittelbare Wahrnehmung unübersetzt auf die Leinwand bringen zu können. […] Die Schulmalerei hatte über der Nachahmung der Nachahmer der Meister ihren Geist ausgehaucht. Renoir und seine Freunde aber waren höchst lebendig. Ihnen fiel die Aufgabe zu, die französische Malerei zu erneuern. […] Sie brannten vor Begierde, ihre Entdeckung der Wahrheit dem Publikum mitzuteilen. Die Einfälle sprühten, kreuzten sich, es hagelte Erklärungen. Einer schlug in vollem Ernst vor, den Louvre zu verbrennen.

Vermutlich war es Sisley, der die Freunde dazu veranlasste, ebenfalls in den berühmten Wald von Fontainebleau aufzubrechen und Landschaften zu malen.

Statt eines nach den Regeln der Kunst auf einem Podest aufgestellten Aktmodells hatten sie dort die Natur selbst vor Augen, die unendliche Unterschiedlichkeit des im Sonnenlicht flimmernden Blätterwerks. „Unsere Entdeckung der Natur verdrehte uns den Kopf“, gestand Renoir später.

Es ist anzunehmen, dass Édouard Manets Frühstück im Grünen (1863; Paris, Musée d’Orsay), das 1863 im Salon ausgestellt wurde und die jungen Maler ebenso verblüffte wie die Kritik und das breite Publikum, bei ihrer Begeisterung für die Natur eine große Rolle spielte.

Denn Manet hatte bereits ein Stück dessen vorweggenommen, wovon sie bisher nur träumten: Er hatte die ersten Schritte auf dem Weg von der klassischen Schule zum modernen Leben zurückgelegt.

Die Formel, es gelte, den Louvre in Brand zu stecken, war wohl doch nicht mehr als eine spontane Zuspitzung, wie sie in einer Diskussion unterlaufen kann. Auf die Frage, ob seine klassische Ausbildung ihn denn etwas gelehrt habe, antwortete Renoir später: „Viel sogar, und zwar trotz meiner Lehrer. Es ist vorzüglich, wenn man gezwungen wird, zehnmal das gleiche Objekt zu kopieren. Zwar ist es langweilig, und man täte es nicht, wenn man nicht dafür bezahlen müsste. Aber wirklich lernen kann man außerdem im Louvre.“

Die Seine bei Bougival, 1869. Öl auf Leinwand, 65,4 x 92,4 cm. Currier Museum of Art, Manchester (New Hampshire).

Adolphe Monet lesend in einem Garten, 1867. Öl auf Leinwand, 82,6 x 100,6 cm. Privatsammlung.

Die „Intransigenten“ verstanden sich darauf, im Louvre zu lernen. Das Museum stellte ihnen einen überreichen Schatz großer Meister zur Verfügung, bei denen sie einiges von dem, was sie selbst in der Malerei suchten, bereits vorgebildet fanden. So wurde der Louvre für sie zu einer zweiten Schule.

Bei den venezianischen Meistern des 16. Jahrhunderts und bei Rubens konnten sie etwas über die Schönheit reiner Farbe lernen, aber ihre Landsleute lagen ihnen vielleicht noch näher. Vor allem Jean-Antoine Watteau sprach sie an. Seine kurzen, farbensatten Pinselstriche, seine Fähigkeit, das flimmernde Leben in der Natur in den zartesten Farbnuancen einzufangen, wurden im Impressionismus überaus wichtig. Ein anderes Vorbild war der ausdrucksvolle Jean-Honoré Fragonard. Diese beiden Maler hatten sich schon im 18. Jahrhundert von der emailartig glatten Bildoberfläche der akademischen Malerei verabschiedet.

Ein aufmerksames Auge konnte an ihren Werken erkennen, welch große Bedeutung der Form und Energie der Pinselführung zukam. Watteau und Fragonard zeigten, dass der Pinselstrich keinesfalls schamhaft versteckt zu werden brauchte, sondern vielmehr als Mittel dienen konnte, Bewegung und Veränderung in der Natur einzufangen. Die Generation der um 1840 geborenen Maler ließ sich nicht mehr von dem Verbot beeindrucken, Motive aus dem gewöhnlichen Leben darzustellen.

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatte in Frankreich auf dem Gebiet der Landschaftsmalerei die konservativste Einstellung vorgeherrscht, die überhaupt in Europa anzutreffen war.

Die Salons waren mit Landschaftsdarstellungen gespickt, die zwar auf dem Studium der Natur – der Beobachtung von Bäumen, Blättern, Steinen – beruhten, vor allem aber auf deren klassischer „Komposition“. Dabei hatten holländische Meister schon seit dem 17. Jahrhundert die lebendige, genau beobachtete Natur ihres Landes gemalt.

In ihren bescheidenen, kleinformatigen Bildern tauchten die unterschiedlichen Facetten eines nicht-imaginären Hollands auf: ein weiter Himmel, zugefrorene Kanäle, vom Raureif bedeckte Bäume, Windmühlen, pittoreske kleine Städte.

In nuancierten Farbtönen fingen die holländischen Maler die feuchte Atmosphäre ihres Landes ein. Ihre Bilder zeigten weder klassische Szenen noch führten sie Kulissen vor. Ein flacher Küstenstrich, parallel zum Rand der Leinwand gezogen, genügte für den Eindruck; der Betrachter blickte direkt in die Natur hinein. Im Venedig des 18. Jahrhunderts schufen Landschaftsmaler ein neues, spezifisches Genre, die Vedute.

In den szenisch aufgebauten Werken eines Francesco Guardi, Giovanni Antonio Canal, Bernardo Bellotto sind alle Gesetze der klassischen Schule berücksichtigt, aber sie geben exakt die Wirklichkeit wieder. Ihre topographische Präzision macht es möglich, dass sie noch heute als Dokumente der Existenz von Städten gesehen werden können, die in dieser Form längst nicht mehr bestehen.

Mehr noch: In diesen Veduten bleibt der feine, feuchte Schleier über der Lagune von Venedig ebenso spürbar wie die Reinheit der Luft am Gestade der Insel Elba.

Andere Vorbilder fanden die künftigen Impressionisten bei Malern, deren Werke noch nicht in die Museen Eingang gefunden hatten. So in denen des „sketching club“, einer gegen Ende des 18. Jahrhunderts in England entstandenen Künstlervereinigung, die mit rasch hingeworfenen Landschaftsskizzen brillierte.

Der 1828 mit nur 26 Jahren verstorbene Richard Parkes Bonington hat derart durchsichtige, anmutige Aquarelllandschaften hinterlassen, dass der Betrachter ihre Atmosphäre förmlich auf der Haut zu spüren meint.

Seestück bei Mondschein, um 1864. Öl auf Leinwand, 60 x 73,8 cm. Scottish National Gallery of Scotland, Edinburgh.